Funktionelle Beurteilung von Koronarstenosen: Macht neue Methode das Rennen?
Bei der invasiven Evaluation der funktionellen Relevanz von Koronarstenosen kündigt sich ein Wandel an: Eine neue und leichter anwendbare Messmethode hat jetzt unter Beweis gestellt, dass sie dem bisher genutzten Verfahren der Fraktionelle Flussreserve (FFR)-Messung klinisch ebenbürtig ist.
Bei mittelgradigen Koronarstenosen ist, wenn kein nichtinvasiver Ischämienachweis vorliegt, die hämodynamische Relevanz durch visuelle Beurteilung allein oft nicht zu objektivieren. Hier hilft die Bestimmung der FFR als Instrument zur Steuerung der revaskularisierenden Therapie weiter.
Die FFR gibt das Verhältnis des mittleren Blutdrucks distal der Stenose zum aortalen Mitteldruck an. Gemessen werden die intrakoronaren Drücke mithilfe eines speziellen Druckmessdrahts bei stabilen Flussverhältnissen unter Adenosin-induzierter Hyperämie. Eine FFR von 0,80 gilt gemeinhin als „cut off“: Nur bei FFR-Werten unterhalb dieser Schwelle ist eine Revaskularisation zu empfehlen.
Neue Methode ohne Hyperämie-Induktion
Inzwischen gibt es mit der sogenannten „iFR“ („Instantaneous wave-free Ratio“) eine Weiterentwicklung der klassischen FFR. Gleich in zwei großen Vergleichsstudien, an denen insgesamt mehr als 4.500 Koronarpatienten beteiligt waren, konnte jetzt nachgewiesen werden, dass eine iFR-gesteuerte Therapie der FFR-gesteuerten Vorgehensweise bei der Revaskularisation klinisch „nicht unterlegen“ ist - und in mancher Hinsicht Vorteile zu bieten hat.
Die neue Methode ermöglicht eine Berechnung der hämodynamischen Relevanz von Stenose ohne notwendige Induzierung einer Hyperämie. Dabei wird ein diastolisches Intervall („wave-free period“) im Herzzyklus genutzt. Potenzielle Vorteile der neuen Methode sind ein geringerer Aufwand und weniger Nebenwirkungen.
In den randomisierten Studien DEFINE-FLAIR und IFR-SWEDEHEART sind beide Methoden der funktionellen Stenose-Evaluation direkt miteinander verglichen worden. Primärer Vergleichsmaßstab war jeweils die Inzidenz von kardiovaskulären Ereignissen (Tod, Herzinfarkt, ungeplante Revaskularisation) innerhalb von 12 Monaten. Konsistente Ergebnisse beider Studien sind jetzt beim Kongress des American College of Cardiology (ACC) 2017 in Washington DC vorgestellt worden.
Aus klinischer Sicht gleich gut
In der DEFINE-FLAIR-Studie sind 2.492 Patienten mit angiografisch dokumentierten Koronarläsionen (visuell beurteilter Stenosegrad: 40-70%) randomisiert einer iFR- oder FFR-gesteuerten Behandlung zugeteilt worden. Im Fall der iFR-Messung wurde der „cut off“ für die Revaskularisation bei 0,89 angesetzt.
Nach einem Jahr waren die Inzidenzraten für den primären kombinierten Endpunkt (Tod, Herzinfarkt, ungeplante Revaskularisation) in der iFR- und FFR-Gruppe nahezu gleich (6.8% vs. 7.0%; p-Wert für Nichtunterlegenheit < 0.001). Dies gilt ebenso für die einzelnen Komponenten dieses Endpunktes. Allerdings war die Rate für die Gesamtmortalität mit 1.9% versus 1.1% in der iFR-Gruppe tendenziell höher als in der FFR-Gruppe – wenn auch nicht signifikant (P = 0.11).
Patienten haben weniger Beschwerden
Patienten, bei denen die iFR –Methode zur Anwendung kam, berichteten während der Prozedur deutlich seltener über Symptome oder Beschwerden wie Brustschmerz und Dyspnoe als Patienten der FFR-Gruppe (3.1% vs. 30.8%; p < 0.001). Auch war die mediane Prozedurdauer kürzer als im FFR- Arm (40,5 vs. 45,0 Minuten; p = 0.001).
Auf Basis der iFR-Messung wurde sich signifikant seltener für einer revaskularisierende perkutane Koronarintervention (PCI) entschieden (45% vs. 50%). Das schien allerdings nicht zum Schaden der Patienten gewesen zu sein: Denn die Ereignisraten bei Patienten, bei denen vorläufig auf eine PCI verzichtet wurde, waren mit 4,7% (iFR) und 6,1% (FFR) nach einem Jahr nicht signifikant unterschiedlich.
iFR-SWEDEHEART ist eine in ein großes schwedisches Register (SCAAR) eingebettete randomisierte Studie. Beteiligt waren 2,037 Patienten mit Koronarstenosen (40-80% Stenosierung bei visueller Beurteilung). Auch in dieser Studie lagen die Ereignisraten nach einem Jahr mit 6.7% (iFR) und 6.1 (FFR) nicht weit auseinander (p-Wert für Nichtunterlegenheit = 0.007), ebenso die Raten für die drei Einzelkomponenten des primären Endpunktes.
Dafür war auch in dieser Studie der Anteil der Patienten, die während der Prozedur über Beschwerden in der Brust klagten, mit 3,0% (iFR) und 68,3% (FFR) erneut sehr unterschiedlich (p < 0,001).
Der neue Standard?
Anhänger der iFR hoffen nun, mit dieser leichter anwendbaren, potenziell kostengünstigeren und für die Patienten weniger belastenden Methode dem Konzept der funktionellen Beurteilung von Koronarstenosen mehr Geltung in der Praxis verschaffen zu können. Denn obwohl sie in den Leitlinien inzwischen einen hohen Stellenwert zugewiesen bekommen hat, wird die FFR-Messung im klinischen Alltag nach wie vor nur selten angewendet – in Deutschland bei nicht einmal 10% aller invasiven Koronarangiografien. Das hatte allerdings auch mit der lange Zeit schwierigen Kostenerstattung zu tun.
In einem Kommentar zu beiden im „New England Journal of Medicine“ veröffentlichten Studien gibt der Experte Dr. Dheepak Bhatt von der Harvard Medical School, Boston, eine noch vorsichtige, aber positive Prognose zur Zukunft der iFR-Messung bei intermediären Koronarstenosen ab: „Die FFR ist der evidenzbasierte Standard für die invasive Evaluation solcher Stenosen gewesen, aber jetzt sieht es so aus, als könne die iFR der neue Standard sein.“
Literatur
Late-Breaking Clinical Trials III, Kongress des American College of Cardiology 2017, 17.-19. März 2017, Washington DC
Davies JE, et al. use of the instantaneous wave-free ratio or fractional flow reserve in PCI. N Engl J Med 2017; online 18. März.
Götberg M, et al. Instantaneous wave-free ratio versus fractional flow reserve to guide PCI. N Engl J Med 2017; online 18. März
Bhatt DL. Assessment of stable coronary lesions. N Engl J Med 2017; online 18. März