Hypertrophe obstruktive Kardiomyopathie: Macht es Sinn, früher zu operieren?
Die Leitlinien empfehlen, einen invasiven Eingriff bei Patienten mit hypertropher obstruktiver Kardiomyopathie nur bei fortgeschrittener Obstruktion und Symptomen vorzunehmen. Eine aktuelle Studie stellt diese Empfehlung nun infrage.
Patienten mit einer hypertrophen obstruktiven Kardiomyopathie (HOCM) scheint es langfristig besser zu gehen, wenn sie früher als von den Leitlinien empfohlen eine chirurgische Myektomie erhalten. Jedenfalls haben diese Erfahrung Kardiologen um Dr. Alaa Alashi gemacht.
Invasive Behandlung nur bei schwerer Obstruktion und heftigen Symptomen
Derzeit ist eine invasive Behandlung (Myektomie oder perkutane Alkoholseptumablation) nur dann mit einer Klasse I-Empfehlung indiziert, wenn die Patienten eine schwere Obstruktion der linksventrikulären Ausflussbahn (LVOT) aufweisen und trotz maximal tolerierbarer medikamentöser Therapie an hartnäckigen Symptomen wie wiederkehrender Angina oder Synkopen nach körperlichen Anstrengungen leiden (NYHA-Klasse III–IV).
US-Kardiologen haben unter gewissen Umständen schon früher operiert
Weil die Spezialisten um Alashi gute Erfahrungen mit der chirurgischen Myektomie gemacht haben, entschieden sie sich allerdings dafür, diese Methode in ihrer Klinik bei bestimmten Patienten früher vorzunehmen, als es von den Leitlinien empfohlen wird: Nämlich bereits bei Patienten mit einer NYHA-Klasse II, wenn diese in der Stressechokardiografie trotz maximaldosierter Pharmakotherapie Beschwerden wie schwere Luftnot entwickelten oder die Medikamente nicht vertrugen.
In ihrer nun veröffentlichten Analyse haben die Kardiologen von der Cleveland Clinic die Prognose der früher operierten Patienten – 950 an der Zahl – mit der von 1.318 Patienten, bei denen der Eingriff nach einer Klasse-I-Indikation erfolgte, verglichen. Das durchschnittliche Follow-up lag bei 6,2 +/– 4 Jahren.
Frühes invasives Eingreifen hat sich ausgezahlt
Das überraschende Ergebnis: Bei den Patienten, die früher als empfohlen eine chirurgische Myektomie erhielten, kam es in den folgenden Jahren zu deutlich weniger Todesfällen und/oder angemessenen Schockabgaben durch den implantierbaren Kardioverter-Defibrillator (ICD) als bei jenen mit der leitliniengerechten Indikationsstellung (8% vs. 15%). Oder andersherum: Eine Operation zum empfohlenen Zeitraum ging mit einem erhöhten Komplikationsrisiko einher im Vergleich zu einem früheren Eingreifen (Hazard Ratio, HR: 1,61; p = 0,001). Und das obwohl es keine bedeutenden Unterschiede beim Alter, Geschlecht oder der anfänglichen Risikokonstellation zwischen beiden Gruppen gegeben habe, berichten Alashi und sein Team in der Publikation.
Erfreulicherweise war die langfristige Prognose für die früh operierten HOCM-Patienten genauso gut wie die der Allgemeinbevölkerung, wenn nach Alter und Geschlecht gematcht wurde. Im Gegensatz dazu war das Outcome der Patienten, die mit einer Klasse I-Indikation operiert worden sind, erheblich schlechter. Erwartungsgemäß gingen ein höheres Alter und das Vorliegen einer obstruktiven koronaren Herzerkrankung mit einer schlechteren Prognose einher.
Keinen Einfluss hatte es, wenn neben der Myektomie zusätzlich eine Korrektur oder Ersatz der Mitralklappe vorgenommen wurde (bei 38%), also diesen Patienten erging es weder besser noch schlechter als jenen mit einer isolierten Myektomie.
Stressecho zur Entscheidungsfindung
Ganz so überrascht sind Alashi und sein Team von dem Hauptergebnis ihrer Studie allerdings dann doch nicht: Da sich bei einer Vielzahl von Klappenerkrankungen ein früher chirurgischer Eingriff als prognostisch vorteilhaft erwiesen habe, hätte man intuitiv auch bei der HCM davon ausgehen können. Auf der anderen Seite ist aufgrund der sich dynamisch verändernden LVOT (und Mitralregurgitation) die Situation bei einer HCM eine andere als bei Klappenerkrankungen, bei denen eine konstante Insuffizienz vorliegt.
Wie lassen sich nun HOCM-Patienten ausfindig machen, die von einer frühen Myektomie profitieren? Allein sich auf die Wahrnehmung der Patienten zu verlassen, kann laut der US-Kardiologen ein irreführendes Bild ergeben, da die Patienten ihre Symptome häufig falsch einschätzten. Alashi und Kollegen setzen deshalb auf die Stressechokardiografie. Denn diese könne das „wahre klinische Bild“ offenlegen, indem sie die Belastungskapazität der Patienten aufzeige und eine objektive Einschätzung der dynamischen LVOT-Obstruktion erlaube, argumentieren sie.
Aber: Erfahrungswerte eines einzigen Zentrums
Wichtig dabei ist: Eine solche Abklärung von HCM-Patienten sollte immer von Spezialisten vorgenommen werden, dasselbe gilt für die Operation. So wurde das auch in der Klinik von Alashi und Kollegen gehandhabt, was mitunter die guten Ergebnissen erklären könnte.
Allerdings spiegeln die Daten die Erfahrungswerte eines einzigen Zentrums wider, die Generalisierbarkeit ist deshalb eingeschränkt. Ein weiterer Knackpunkt ist die fehlende Randomisierung, weshalb ein Selektionsbias nicht auszuschließen ist. Des Weiteren gab es keine Daten zur Effektivität von perkutanen Alkoholseptumablationen im Vergleich zur OP.
Und: Einführung neuer Medikamente könnte alles verändern
Eine sich abzeichnende Neuerung, welche die Situation nochmals gänzlich verändern könnte, ist die Einführung des ersten spezifisch bei HCM wirksamen Medikaments. In der beim ESC-Kongress 2020 vorgestellten Phase III-Studie EXPLORER-HCM hat sich Mavacamten bei HOCM-Patienten nämlich als hochwirksam erwiesen. Deshalb besteht Hoffnung, dass die neue Therapie invasive Eingriffe vermeidbar macht und die aktuellen Ergebnisse dadurch quasi hinfällig werden. Noch gibt es dafür aber keine Belege. Mit der VALOR-HCM-Studie könnte sich das ändern. In dieser randomisierten Studie wird geprüft, ob die Gabe von Mavacamten die Zahl an septalen Reduktionstherapien reduzieren kann.
Literatur
Alashi A et al. Outcomes in Guideline‐Based Class I Indication Versus Earlier Referral for Surgical Myectomy in Hypertrophic Obstructive Cardiomyopathy. J Am Heart Assoc. 2021;10:e016210. DOI: 10.1161/JAHA.120.016210