Nachrichten 18.08.2020

Expertenkommentar: Leitlinien sollten Vorhofohrverschluss aufwerten

Aktuell sind die NOAKs der unangefochtene Goldstandard zur Schlaganfallprophylaxe bei Vorhofflimmern-Patienten. Nun hat sich der Vorhofohrverschluss in gleich zwei Studien gegen die NOAKs behaupten können. Experten diskutieren, was die Ergebnisse für die Praxis bedeuten könnten.

Prof. Christian Schulze ist Klinikdirektor an der Klinik für Innere Medizin I am Universitätsklinikum Jena.

Jahrzehntelang wurden Patienten mit Vorhofflimmern und einem erhöhten Risiko für thrombembolische Ereignisse wie z.B. einen Schlaganfall erfolgreich mit Medikamenten aus der Gruppe der Vitamin-K-Antagonisten behandelt.

Aktuell NOAKs die Therapie der Wahl

Mit Einführung der NOAK-Therapie seit 2009 konnten wesentliche Therapieziele einer möglichst optimalen Medikation erreicht werden: Insbesondere die höhere therapeutische Breite, die fehlende Dosisadjustierung bei geringerer Interaktionsrate hat zu einer Reduktion der Blutungsrate und einer Reduktion der Schlaganfallraten im Vergleich zur Therapie mit Vitamin-K-Antagonisten geführt. Dies ist in verschiedenen qualitativ hochwertigen Studien mehrfach belegt wurden. Daher wurde in den ESC-Leitlinien von 2014 zur Therapie von Vorhofflimmern die NOAK-Therapie als Therapie der ersten Wahl für Patienten mit nichtvalvulärem Vorhofflimmern definiert.

Vorhofohrverschluss hat sich gegen VKA bereits gut geschlagen

Als Alternative zur medikamentösen Therapie hat sich seit 2009 der interventionelle Vorhofohrverschluss etabliert. Mit Einsatze eines Occluders in das linke Vorhofohr sind diese Patienten nach einer Übergangsphase zur Endothelialisierung des Devices auch ohne Einnahme von Antikoagulantien vor Schlaganfällen ebenso gut geschützt wie Patienten unter Therapie mit Vitamin-K-Antagonisten. Dies wurde in der randomisierten PROTECT-AF Studie gezeigt. Die Langzeitdaten dieser Studien konnten sogar einen Mortalitätsvorteil für die Patienten der Device-Gruppe im Vergleich zur Warfarin-Gruppe zeigen. Daher stellte sich nun die Frage, ob eine Device-Therapie der NOAK- Therapie ebenbürtig ist.

Jetzt fordert der Okkluder die NOAKs heraus

Vor diesem Hintergrund liefern uns neue Untersuchungsergebnisse mehr Sicherheit und zum Teil überraschende Daten. Bereits beim ESC-Kongress 2019 wurde die PRAGUE-17-Studie vorgestellt, die nun auch komplett publiziert vorliegt. 

Diese Studie verglich randomisiert, open-label die NOAK-Therapie (hier in 95% Apixaban) mit einem interventionellen Vorhofohrverschluss (Amulet, Watchman und Watchman FLX-Device). Die Nichtunterlegenheit der Device-Therapie im Vergleich zur NOAK-Therapie konnte nach einem 20-monatigem Follow-up an 402 Patienten, welche ein Hochrisikoprofil sowohl für Schlaganfall als auch das Blutungen aufwiesen (CHA2DS2VASC-Score: 4,7; HAS-BLED-Score: 3,1), gezeigt werden. Der kombinierte Endpunkt Schlaganfall/TIA, systemische Embolie, klinisch bedeutsame Blutung, kardiovaskulär bedingter Todesfall oder bedeutsame periprozedurale/devicebezogene Blutung trat in 10,99% der Device-Gruppe und in 13,42% in der NOAK-Gruppe (p für Nichtunterlegenheit 0,004) auf. 

Basierend auf diesen Studienergebnissen ist der interventionelle Vorhofohrverschluss einer NOAK-Therapie bei Patienten mit nicht-valvulärem Vorhofflimmern somit gleichwertig.

Eine nicht-randomisierte, gematchte Patientenanalyse zur gleichen Thematik wurde im Rahmen des PCR-e-Course 2020 von Dr. Jens Erik Nielsen-Kudsk vorgestellt. 1.078 Patienten, welche einen Vorhofohrokkluder implantiert bekamen, wurden mit 18.570 Patienten, welche bei neu aufgetretenem Vorhofflimmern eine NOAK-Therapie bekamen, verglichen. Auch hier handelte es sich um ein Hochrisikokollektiv von Patienten mit hohem Schlaganfall- (CHA2DS2VASC-Score: 4,2 vs. 4,3) und hohem Blutungsrisiko (HAS-BLED-Score: 3,3 vs. 3,4). 

Das Blutungsrisiko scheint deutlich geringer

Im Ergebnis konnte der kombinierte Endpunkt (ischämischer Schlaganfall, schwere Blutungen (BARC-Klassifikation 3 oder höher) und Tod (primärer kombinierte Endpunkt) in der LAA-Gruppe um 43% gesenkt werden (HR: 0,57; 95%-KI: 0,49–0,67). Die Rate an ischämischen Schlaganfällen war, wie auch in der randomisierten PROTECT-AF-Studie und der PRAGUE-17-Studie, annähernd gleich (HR: 1,11; 95%-KI: 0,71–1,75). Der Vorteil der Device-Therapie scheint insbesondere die um 38% geringere Blutungsrate (HR: 0,62; 95%-KI: 0,49 – 0,79) und die um 47% geringere Mortalität (HR: 0,53; 95%-KI: 0,43 – 0,64) zu sein.

Wie auch die randomisierte PROTECT-AF-Studie zeigen die neuen Studienergebnisse, dass die Rate an ischämischen Schlaganfällen durch den interventionellen Vorhofohrverschluss in gleichem Maße wie durch eine NOAK-Therapie gesenkt werden kann, jedoch sind die Rate an schweren Blutungen und die Mortalität bei Patienten nach Vorhoffohrverschluss signifikant geringer. Dies überrascht, da die NOAK-Therapie im Vergleich zu Vitamin-K-Antagonisten (Warfarin) besser toleriert wird und weniger Nebenwirkungen, wie Blutungen, verursachen sowie – für einige Substanzen und Dosierungen – effektiver in der Verhinderung von Schlaganfällen sind.

Müssen die Leitlinien geändert werden?

Müssen wir nun eine Änderung der Leitlinie erwarten und alle Patienten primär mit einem Vorhofohrokkluder-Device anstatt einer NOAK-Therapie versorgen? Wenngleich die Daten in diese Richtung weisen, ist dies derzeit noch zu früh. Die Daten der randomisierten PPRAGUE-17-Studie sind aufgrund der relativ kleinen Gruppengröße nur eingeschränkt bewertbar und beruhen auf einer Hochrisiko-Patientenkohorte (bezüglich Schlaganfall und Blutungen) welche nicht mit allen Vorhofflimmern-Patienten mit einem CHA2DS2VASC Score >2 zu vergleichen ist. Auch fällt der noch kurze Nachbeobachtungszeitraum auf. Dies spricht aber auch für die Effektivität der Device-Therapie. Die Daten der PROTECT-AF-Studie zeigen, dass Patienten mit einer oralen Antikoagulation im Langzeitverlauf insbesondere Blutungen erleiden, während das Risiko für unerwünschte Ereignisse in der Device-Gruppe nach der periintervenionellen Phase – nach Endothelialisierung der Devices (6 Monate – 1 Jahr) – signifikant geringer ist, die Kurven für ereignisfreies Überleben somit auseinander gehen.

LAA-Verschluss zumindest aufwerten

Dennoch sollten aus unserer Sicht eine Aufwertung der LAA-Verschluss-Technologie in den Leitlinien, insbesondere für die beschriebenen Hochrisikopatienten erfolgen, um den Ergebnissen insbesondere der Reduktion von Blutungen und Todesfällen der beiden obigen Studien Rechnung zu tragen. Ergänzend ist hier die sich im Langzeitverlauf verringernde Patientencompliance unter NOAK-Therapie (bis zu 20%) aufzuführen, die sich sicherlich ungünstig auf die Ereignisrate der Medikamentengruppe auswirkt.

Große randomisierte Studien, welchen beide Optionen an verschiedenen Patientenkollektiven vergleichen, sind derzeit bereits angelaufen (CLEARANCE – Patienten mit Vorhofflimmern nach Hirnblutungen, CLOSURE-AF – Patienten mit Vorhofflimmern und hohem Risiko für Blutungen, OCCLUSION-AF – Patienten mit Vorhofflimmern nach Schlaganfall; STROKECLOSE – Patienten mit Vorhofflimmern nach Hirnblutungen; CATALYST – Hochrisikopatienten für Schlaganfall). Diese Studien werden sicherlich in den nächsten Jahren für eine Veränderung der Leitlinien sorgen.


Info

Beim diesjährigen ESC-Kongress werden die neuen Vorhofflimmern-Leitlinien vorgestellt, den Bericht dazu finden Sie dann in unserem Dossier.


Literatur

Osmanci P et al. Left Atrial Appendage Closure Versus Direct Oral Anticoagulants in High-Risk Patients With Atrial Fibrillation; J Am Coll Cardiol. 2020,75(25):3122–35.

Nielsen-Kudsk E. Vorgestellt im Rahmen des Online-Programms PCR eCourse 2020

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