Die Häufigkeit einer Statinintoleranz wird offensichtlich überschätzt
Viele Patienten setzen ihre Statintherapie wegen vermeintlicher Nebenwirkungen ab. Die bisher größte Metaanalyse dazu macht jetzt deutlich: Eine „echte“ Statinintoleranz tritt selten auf. Nach Ansicht der Autoren wird deren Relevanz im Alltag deshalb überschätzt.
Nicht mal jeder zehnte Patient, der Statine einnimmt, leidet an einer echten Statinintoleranz. In einer großen Metaanalyse, für welche die Daten aus 176 Studien mit über 4 Millionen Patienten ausgewertet worden sind, lag die weltweite Inzidenz gerade mal bei 9,1%. Wenn man die Kriterien internationaler Fachgesellschaften wie der National Lipid Association, des International Lipid Expert Panels oder der European Atherosclerosis Society heranzieht, ist die Häufigkeit solcher Nebenwirkungen sogar noch geringer, und liegt nur zwischen 5% und 7%.
„Diese Ergebnisse unterstützen das Konzept, dass eine vollständige Statinintoleranz womöglich oft überschätzt wird und sie verdeutlichen die Notwendigkeit einer sorgfältigen Abklärung von Beschwerden, die potenziell auf eine Statinintoleranz zurückzuführen sind“, geben die Autoren um Dr. Ibadete Bytyçi in der Publikation im European Heart Journal als Message mit auf den Weg.
Nocebo-Effekt steckt oft hinter den Beschwerden
In den letzten Jahren wurden einige Studien publiziert, die nahelegen, dass die von Patienten im Zusammenhang mit einer Statintherapie wahrgenommenen Nebenwirkungen häufig nicht auf das Medikament selbst zurückzuführen sind, sondern einem sog. Nocebo-Effekt zugrunde liegen. Mehr als die Hälfte der Beschwerden seien vermutlich auf diesen Effekt zurückzuführen, berichtete der Studienleiter der aktuellen Metaanalyse, Prof. Maciej Banach, in einer ESC-Pressemitteilung. „Unsere Befunde machen deutlich, dass wir die Beschwerden der Patienten sorgfältig abklären sollten und zuerst schauen sollten, ob die Symptome tatsächlich durch die Statine verursacht werden oder ob womöglich die Wahrnehmung der Patienten, dass Statine schädlich seien, dahintersteckt“, führt der an der Universität von Lodz und an der Universität von Zielona Góra tätige Kardiologe aus.
Risikofaktoren für Statintoleranz
Wie groß der Einfluss des Nocebo-Effekts in dieser Indikation sein könnte, lässt auch die aktuelle Metaanalyse erahnen. Denn interessanterweise war die Prävalenz einer Statinintoleranz in den insgesamt 112 berücksichtigen randomisierten Studien signifikant geringer als in den 64 Kohortenstudien (entsprechend 4,9% vs. 17,0%) – eine Tatsache, die schon öfters aufgefallen ist.
Als wichtigste Risikofaktoren für das Auftreten einer Statinintoleranz identifizierten Bytyçi und Kollegen das weibliche Geschlecht (+47,9%), ein Hypothyreoidismus (37,6%), eine hohe Statindosis (+37,5%), fortgeschrittenes Alter (+33,1%), die Einnahme von Antiarrhythmika (+31,2%) sowie Übergewicht (+30,6%). Auch eine Diabeteserkrankung, chronische Nieren- und Leberstörungen, die Einnahme von Kalziumkanalblocker und der Konsum von Alkohol waren mit einem signifikant erhöhten Risiko assoziiert.
Literatur
Bytyçi I et al. Prevalence of statin intolerance: a meta-analysis, Eur Heart J 2022;, ehac015, https://doi.org/10.1093/eurheartj/ehac015
ESC-Pressemitteilung: Statin intolerance is “over-estimated and over-diagnosed”, veröffentlicht am 16.02.2022