Nachrichten 02.02.2023

Familiäre Hypercholesterinämie: Guter Lebensstil kann „schlechte“ Gene kompensieren

Auch für Menschen mit einer familiären Hypercholesterinämie lohnen sich Lebensstilmaßnahmen, bekräftigt eine aktuelle Analyse. Denn das erhöhte Herzrisiko durch „schlechte Gene“ kann offenbar durch einen guten Lebensstil abgeschwächt werden.

Menschen mit einer familiären Hypercholesterinämie können durch einen guten Lebensstil einiges von ihrem angeboren kardiovaskulären Risiko kompensieren. Das jedenfalls suggeriert eine retrospektive Studie aus Japan. In dieser Analyse war ein günstiger Lebensstil mit einem reduzierten Risiko für kardiovaskuläre Komplikationen assoziiert, und zwar unabhängig von dem genetischen Profil der Erkrankten.

„Diese Ergebnisse bekräftigen, dass die klinische und genetische Diagnose einer familiären Hypercholesterinämie nicht deterministisch ist für ein kardiovaskuläres Risiko“, folgern die Studienautoren um Dr. Hayato Tada vom Kanazawa Universitätsklinikum aus ihren Daten.

Genmutationen und Lebensstil mit erhöhtem Risiko assoziiert

Für ihre Analyse haben Tada und sein Team den prognostischen Verlauf von 961 Patientinnen und Patienten aus der Kanazawa Universitätsklinik, bei denen nach klinischen Kriterien die Diagnose einer familiären Hypercholesterinämie (FH) gestellt wurde, retrospektiv ausgewertet. Bei 699 von ihnen ließ sich eine Mutation in einem für die FH verantwortlichen Genen (LDLR, APOB, PSCK9, LDLRAP1) nachweisen.

Während des durchschnittlichen Follow-up von 12,6 Jahren war es in diesem Patientenkollektiv zu 179 MACE-Ereignissen gekommen (dazu zählten kardiovaskulär bedingte Mortalität, Infarkt, instabile Angina, koronare Revaskularisationen).

Sowohl das Vorhandensein von FH-Genmutationen als auch der Lebensstil – gemessen an einem 4-Punkte-Score zum Ernährungsverhalten, Sport, Rauchstatus und Übergewicht – waren signifikant mit dem Auftreten von MACE assoziiert, und zwar unabhängig von anderen klassischen Risikofaktoren. Nachweisbare FH-Mutationen erhöhten das Risiko um fast das Dreifache (Hazard Ratio, HR: 2,7; p=0,02). Andersherum verringerte ein günstiger Lebensstil das Risiko um gut 30% (HR: 0,69; p=0,033).

Sprich, das Risiko, dem Patienten mit einer FH letztlich ausgesetzt sind, hängt nicht allein von der genetischen Voraussetzung, sondern auch vom Lebensstil ab.  

Risiko am höchsten bei schlechten Genen plus schlechten Lebensstil

Zur Veranschaulichung: Patienten mit klinisch diagnostizierter FH haben diesen Daten zufolge eine 21%ige Wahrscheinlichkeit, in einem Alter von 75 Jahren an einer koronaren Herzerkrankung zu erkranken, wenn sie keine FH-Genmutationen tragen und einen guten Lebensstil führen. Ihr geschätztes Risiko erhöht sich aber auf 32,1%, wenn sie einen ungünstigen Lebensstil führen, obwohl sie keine FH-Genmutationen haben. Patienten mit klinisch diagnostizierter FH und nachweisbaren FH-Mutationen haben wiederum nur ein 29%iges Risiko, mit 75 Jahren eine KHK zu entwickeln, wenn sie ihr Leben herzgesund gestalten. Im Falle eines unvorteilhaften Lebensstils steigt das Risiko für sie auf 55,4%.

Die Autoren plädieren angesichts dieser Ergebnisse dafür, FH-Patienten zu Lebensstilmaßnahmen zu raten, um ihr angeborenes kardiovaskuläres Risiko zu verringern. Insbesondere der Rauchverzicht sei wichtig, denn der Zusammenhang zwischen Rauchen und atherosklerotischen Komplikationen sei besonders stark ausgefallen, erläutern die japanischen Kardiologen.

Frühe Pharmakotherapie ist trotzdem wichtig

Allerdings weisen Tada und Kollegen auch auf die Notwendigkeit eines frühen pharmakologischen Eingreifens hin, und zwar on top zu den bekannten „Lifestyle“-Veränderungen. Die Erfordernis einer solchen Strategie erschließt sich durch ein weiteres Ergebnis der Studie: Der „cholesterol year score“, der die lebenslange LDL-C-Exposition widerspiegelt, war nämlich mit einem signifikant erhöhten MACE-Risiko assoziiert (HR: 1,29; p=0,0021). Der Score wurde durch die Formel max. LDL-C × Alter bei Diagnose/Statintherapie-Beginn + LDL-C bei Einschluss × Alter bei Einschluss – Alter bei Diagnose/Statintherapie-Beginn berechnet.

Wichtig für die Interpretation der aktuellen Daten ist die Tatsache, dass auf die unterschiedlichen Behandlungsstrategien im Verlauf der Studie nicht adjustiert wurde. Sprich, entsprechende Interventionen könnten die Ergebnisse beeinflusst haben. Ebenso wenig flossen Lebensstiländerungen der Patienten, die im weiteren Verlauf möglicherweise initiiert wurden, in die Berechnungen ein.


Literatur

Tada H et al. Impact of Healthy Lifestyle in Patients With Familial Hypercholesterolemia. JACC: Asia 2023; https://doi.org/10.1016/j.jacasi.2022.10.012

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