Online-Artikel 18.09.2015

Myokarditis: „Myokardbiopsie ist unverzichtbar“

Bei der Myokarditis geht der Trend weg von der reinen Herzinsuffizienztherapie zu personalisierten Therapiestrategien. Prof. Heinz-Peter Schultheiß vom Institut für Kardiale Diagnostik und Therapie (IKDT) Berlin gab beim Europäischen Kardiologenkongress in London in einem State-of-the-Art-Vortrag einen Überblick über aktuelle Entwicklungen. Kardiologie.org hat nachgefragt.

Die chronisch verlaufende Myokarditis galt unter Kardiologen lange als eine Erkrankung, die sich weder vernünftig diagnostizieren noch vernünftig behandeln ließ. Hat sich das geändert?

Es ändert sich, ganz eindeutig. Wir können heute anhand der histologischen, immunhistologischen, molekularbiologischen und virologischen Diagnostik Patienten mit guter Prognose von Patienten mit schlechter Prognose abgrenzen, und wir können unterschiedliche Ätiologien der Myokarditis erkennen. Damit werden jetzt jene prospektiven klinischen Studien mit personalisierten Therapien möglich, die immer gefordert wurden.

Heißt das: Keine Myokarditistherapie ohne endomyokardiale Biopsie?

Richtig. Weder die Echokardiografie noch die Kardio-MRT können die Informationen liefern, die wir für eine personalisierte Therapie benötigen. Die MRT kann zeigen, ob eine ausgeprägte Entzündung vorliegt oder nicht. Aber sie kann keine Aussage über geringgradige Entzündungsprozesse bei chronischen Verläufen und damit über die Prognose liefern. Und sie hilft auch nicht bei der Frage, ob es sich um eine virale Myokarditis handelt.

Patienten mit Myokarditis zeigen eine unspezifische Herzinsuffizienzsymptomatik. Wenn Sie der MRT keine wegweisende Rolle bei der Triage zumessen, würden Sie dann bei dilatativer Kardiomyopathie generell eine Biopsie zur Myokarditisabklärung fordern?

Das ist letztlich die Konsequenz, ja. Wenn andere Ursachen einer kardialen Dilatation ausgeschlossen sind, also weder eine KHK vorliegt noch Klappenerkrankungen, und wenn es sich nicht um eine hypertensive Kardiomyopathie handelt, dann sollten die Patienten zumindest einmal biopsiert werden, und zwar vor der genetischen DCM-Diagnostik. Das ist übrigens auch die Empfehlung eines Positionspapiers der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie aus dem Jahr 2013. Dieses wird leider in Deutschland noch nicht ausreichend umgesetzt.

Woran liegt es, dass die katheterfreudigen deutschen Kardiologen bei Biopsien so zurückhaltend sind?

Das liegt unter anderem an der Sorge vor Komplikationen. Die ist aber unbegründet. In einer vor drei Jahren in Circulation publizierten Studie, an der wir auch beteiligt waren, ging die Komplikationsrate bei 34.000 Biopsien gegen Null. Man muss nur wissen, wie man es korrekt macht. Wer gut kathetern kann, für den ist es nicht schwer, die wenigen Regeln zu erlernen, die zu beachten sind. Und es gibt ja auch die Möglichkeit, in Einrichtungen zu hospitieren, die regelmäßig biopsieren. Ein anderer Grund für die Zurückhaltung ist, dass die Biopsie in der Vergangenheit häufig keine Konsequenz hatte. Das hat sich aber geändert. Hier denke ich neben den chronischen Verläufen vor allem auch an die akuten Myokarditiden. Die Riesenzell-Myokarditis beispielsweise hat ohne eine frühzeitige, exakte Diagnostik eine sehr hohe Mortalität.

Wonach wird in der Biopsie geschaut, und was lässt sich daraus ableiten?

Verschiedene Arbeitsgruppen haben in den letzten Jahren Biobanken mit Myokardbiopsien retrospektiv analysiert. Uns selbst stehen Myokardbiopsien von über 8000 Patienten über einen Zeitraum von 15 Jahren zur Verfügung. Diese haben wir ausgewertet und konnten so klare Prognosekriterien erarbeiten: Virusnegative Patienten mit mehr als 2,9 zytotoxischen T-Zellen pro mm2 in der Myokardbiopsie, gemessen mit Hilfe von Perforin, haben eine sehr schlechte Prognose. Das Gleiche gilt für Patienten mit erhöhten CD45+R0-Zellen (> 45/mm2) oder CD3+-Zellen (> 10/mm2). Diese Patienten sollten auf Grund der neuen Daten unbedingt spezifisch behandelt werden.

Gibt es denn diese spezifischen Behandlungen?

Im Fall der virusnegativen Autoimmunmyokarditis gibt es eine randomisierte Studie mit einer allerdings speziellen Kohorte, bei der eine Immunsuppression mit Corticosteroiden und Azathioprin hoch wirksam war. Wir selbst haben bei uns jetzt 120 Patienten ohne Virusnachweis und mit schlechten Prognosemarkern in der Myokardbiopsie immunsuppressiv behandelt. In dieser Arbeit, die wir gerade eingereicht haben, konnten wir zeigen, dass sich die LVEF hochsignifikant verbessert, und zwar nicht nur über 6 Monate, sondern langfristig. Gleichzeitig ging die intramyokardiale Inflammation signifikant zurück. Das war allerdings keine prospektiv randomisierte Studie.

Wie sieht es bei der Virusmyokarditis aus?

Unterschiedlich. Patienten, bei denen sich Coxsackie-B3- oder Adenoviren in der Biopsie nachweisen lassen, profitieren hoch signifikant von einer Interferon beta Therapie. Werden diese Patienten behandelt, dann stirbt keiner mehr. Der prozentuale Anteil dieser Patienten am Gesamtkollektiv ist allerdings gering. Das mit Abstand häufigste Virus in Myokardbiopsien ist das humane Parvovirus B19. Für diese Patienten gibt es noch keine spezifische Therapie, aber es starten gerade erste Studien mit zum Teil neuen Präparaten. Das ist genau der Punkt: Wir brauchen jetzt diese Studien, aber dazu müssen wir die Patienten biopsieren. Für alle derzeit relevanten Untersuchungen benötigen wir acht Biopsien – für Histologie, Immunhistologie und Virologie.

Entwickelt sich die pathologische Diagnostik noch weiter?

Ja, da ist noch einiges zu erwarten. Patienten mit Myokarditis haben zum Beispiel ganz unterschiedliche microRNA-Profile. Das hat im Moment noch keine endgültigen Konsequenzen. Aber es zeichnet sich ab, dass uns diese Profile in Zukunft zeigen, ob der Patient das Virus spontan eliminieren kann oder ob es in Richtung einer Viruspersistenz geht. Spezifisch behandeln wollen wir nur letztere. Darüber hinaus bestimmen wir heute bestimmte Genprofile in der Biopsie. Die sind diagnostisch hoch spezifisch, denn es gibt dabei keinen „sampling error“.


Das Interview führte: Philipp Grätzel