22-Jähriger mit Myokarditis – kein Virus, sondern ein Medikament ist schuld
Ein 22-jähriger Mann kommt mit Myokarditis-Symptomen in die Klinik. Vor knapp zwei Wochen hatte er einen Colitis ulcerosa-Schub. Doch weder die Darmerkrankung noch eine Virusinfektion sind schuld an seinem Zustand.
Nicht immer ist eine Virusinfektion die Ursache für eine Myokarditis. Wie der folgende Fall verdeutlicht, gibt es auch nicht-infektiöse Ursachen, die Ärzte im Hinterkopf haben sollten.
Ein 22-jähriger Mann kommt in ein Krankenhaus in Oxford, weil er starke Brustschmerzen in der linken Körperhälfte verspürt, die bis in die Spitze der Schulter ausstrahlen. Die Schmerzen sind schlimmer bei tiefem Einatmen und in Rückenlage. Darüber hinaus klagt der junge Mann über Müdigkeit und Atemnot. Husten, Fieber oder Schnupfen hat er nicht.
Therapiestart wegen chronischer Darmerkrankung
Bei der Anamnese fällt den Ärzten auf, dass der Mann vor 12 Tagen einen Schub einer bestehenden Colitis ulcerosa erlitten hatte. Der Mann erhält seither Mesalazin (1,6 g zweimal täglich), zusätzlich zu einer Steroidbehandlung (Prednisolon 40 mg).
Trotz des Behandlungsbeginns ist die Erkrankung zum Zeitpunkt der Klinikaufnahme immer noch aktiv: Der Mann leidet an Bauchschmerzen und einer blutigen Diarrhö. Könnten die kardiopulmonalen Beschwerden eine extraintestinale Manifestation der aktiven chronisch-entzündlichen Darmerkrankung sein? Der Verdacht liegt nahe, da betroffene Menschen ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung einer Myokarditis haben.
D-Dimer / Troponin sind erhöht und das EKG auffällig
Stutzig macht die Ärzte, dass die D-Dimer mit 1,81 mg/L (normal: ˂ 0,50 mg/L) und das Troponin T mit 209 ng/L (normal: ˂ 14 ng/L) deutlich erhöht sind, die Leukozytenzahl ist ebenfalls mit 19,46 × 10⁹/L nicht im Normbereich (normal: 4–11 × 10⁹/L). In einer weiteren Messung bleibt das Troponin mit 242 ng/L deutlich erhöht. Im EKG zeigen sich dynamische T-Wellen-Inversionen in den Ableitungen I, aVL und V4–6.
Mit Verdacht auf eine Lungenembolie wird der junge Patient auf die kardiologische Abteilung der Klinik von South Warwickshire überwiesen. Als allererstes vermuten die dort tätigen Kardiologen um Dr. Simran Shergill hinter der Symptomatik eine virusassoziierte Myokarditis.
Ventrikelfunktion stark eingeschränkt
In der transthorakalen Echokardiografie (TTE) stellen die Ärzte eine stark eingeschränkte linksventrikuläre systolische und diastolische Funktion fest mit einer globalen Hypokinesie. Einen Perikarderguss oder erhebliche Klappendefekte sehen sie nicht. Allerdings ist die systolische Auslenkungsstrecke des Mitralklappenanulus (MAPSE) mit 4 mm reduziert (normal: ≥ 10 mm).
Trotz des Myokarditis-Verdachtes nehmen die britischen Kardiologen keine Biopsie vor. Eine Begründung hierfür gibt Shergill, der über den Fall im European Heart Journal Case Reports berichtet, nicht. Stattdessen planen sie eine baldige MRT-Untersuchung ein. Eine Herzinsuffizienz-Therapie mit einem ACE-Hemmer (Ramipril 1,25 mg) und einem Betablocker (Bisoprolol 2,5 mg) wird begonnen. Eine Diuretika-Therapie halten die Ärzte für nicht erforderlich, da der Patient keine Volumenbelastung aufweist.
Nachdem sich der Patient stabilisiert hat, wird er zunächst bis zum geplanten MRT-Termin entlassen, unter engmaschiger Überwachung. Die Behandlung der Grunderkrankung bleibt wie gehabt, allerdings mit dem Plan, die Dosis der Steroidtherapie um 5 mg pro Woche zu reduzieren.
Vom Gastroenterologen kommt der entscheidende Hinweis
In den kommenden Tagen verschlechtert sich der Zustand des Patienten allerdings wieder. Er hat erneut Brustschmerzen und klagt über eine reduzierte Belastbarkeit. Die Herzinsuffizienz-Medikamente werden deshalb auftitriert. Doch die Frage bleibt: Was ist die Ursache für die Beschwerden?
Erst als die Kardiologen die Kollegen der Gastroenterologie-Abteilung konsultieren, dämmert es ihnen. Die Experten weisen nämlich darauf hin, dass Mesalazin in seltenen Fällen kardiotoxisch wirken kann. Die Inzidenz wird mit bis zu 0,3% beziffert. Eine Folge dieser Nebenwirkung kann eine Myokarditis bis hin zu einer dilatativen Kardiomyopathie sein.
Aufgrund ihres Verdachtes setzen die Ärzte Mesalazin ab und stellen den Patienten auf Infliximab um. Danach verbessert sich sein Zustand rasch. In der MRT-Untersuchung zwei Wochen später ist keine aktive Myokardinflammation mehr nachweisbar, weder Narben noch Fibrosen sind zu sehen. Die systolische Funktion hat sich normalisiert.
Bei einer Nachsorgeuntersuchung zwei Wochen später gibt der Patient an, beschwerdefrei zu sein. Der Troponin-Wert hat sich normalisiert und die T-Wellen-Inversionen im EKG sind verschwunden. Auch die chronisch-entzündliche Darmerkrankung ist unter der neuen Therapie gut unter Kontrolle.
Medikamentennebenwirkung als wahrscheinliche Ursache
Das sofortige Abklingen der Beschwerden nach Absetzen von Mesalazin interpretiert Shergill als Beweis dafür, dass für die Symptome des Mannes tatsächlich eine Nebenwirkung von Mesalazin verantwortlich war, auch deshalb, weil die Beschwerden kurz nach Beginn der Colitis-Behandlung eingesetzt haben. Als Ursache für eine Myokarditis kommt aber seiner Ansicht nach auch eine extraintestinale Manifestation einer chronisch-entzündlichen Darmerkrankung infrage. Eine Differenzierung zwischen beiden Ursachen sei schwierig, betont der Kardiologe in der Publikation.
Shergill gibt zudem zu bedenken, dass zur Diagnostik einer Myokarditis eigentlich eine Myokardbiopsie hätte vorgenommen werden sollen. „Obwohl die Endomyokardbiopsie der Goldstandard bleibt, wird sie in der alltäglichen Routine viel zu selten eingesetzt“, diskutiert er das Vorgehen. Als Hinweis für eine Mesalazin-induzierte Kardiotoxizität in der Biopsie gilt eine Infiltration von Eosinophilen, im Zusammenhang mit einem raschen Abklingen der Beschwerden nach Absetzen der Medikation und dem Ausbleiben von dauerhaften Schäden.
Fazit für die Praxis: |
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Literatur
Shergill S. Mesalazine-induced myopericarditis: a case report, Eur Heart J - Case Reports, ytaa508, DOI: https://doi.org/10.1093/ehjcr/ytaa508