Nachrichten 17.10.2022

Wenn der Pilzgenuss im kardiogenen Schock endet

Eine 58-jährige Frau entwickelt drei Tage nach dem Genuss einer Pilzsuppe schwerwiegende hämodynamische Einschränkungen. Die Ärzte vermuten, dass eine Pilzvergiftung Herzschäden verursacht hat. Sie können die Frau geradeso retten.

Eine Pilzvergiftung kann in seltenen Fällen auch zu lebensbedrohlichen Herzschäden führen. Dr. Asa Kessler und Kolleginnen/Kollegen beschreiben einen solchen Fall in der Fachzeitschrift „JACC Case Reports“.

Eine 58-jährige Frau kommt in die Notaufnahme des Hadassah-Hebrew University Medical Centers in Jerusalem wegen Bauchschmerzen, Übelkeit, Erbrechen und Fatigue. Sie hat einen niedrigen Blutdruck und Anurie. Drei Tage zuvor habe sie eine Suppe mit selbstgesammelten Pilzen gegessen, erzählt sie. Die Frau hat ein Bild des verspeisten Pilzes mitgebracht. Wie sich später herausstellt, handelt es sich um den ockerscheidigen Eierwulstling (Amanita proxima), ein giftiger Pilz, der dem echten essbaren Eierwulstling ähnlich sieht. Die Ärzte in der Notaufnahme gehen deshalb von einer Pilzvergiftung aus. Bis auf eine Hyperlipidämie, die mit Statinen behandelt wird, hat die Patientin keine Vorerkrankungen.

Stark beeinträchtige Herzfunktion

Die erste körperliche Untersuchung ist auffällig, mit Ausnahme einer gesteigerten Atemfrequenz. Im Labor lassen sich erhöhte Leukozytenwerte (19,3 × 10⁹ Zellen/L), ein erhöhtes Kreatinin (503 mmol/L), eine Hyperphosphatämie und milde Hyponatriämie nachweisen. Zudem werden erhöhte Konzentrationen von hochsensitiven Troponin I (19.600 ng/L) und NT-proBNP (9.961 pg/ml) gemessen, was die Ärzte stutzig macht. 

Die Frau wird deshalb kardiologisch weiter durchgecheckt. Im EKG zeigt sich ein Sinusrhythmus mit leichten ST-Streckenerhebungen in den Ableitungen V1 und V2, begleitend von einer R-Progression. Die Echokardiografie offenbart eine bereits stark beeinträchtigte Herzfunktion: die linksventrikuläre Ejektionsfraktion beträgt nur noch 20%, die rechte Ventrikelfunktion ist leicht eingeschränkt, zudem liegt eine moderat ausgeprägte pulmonale Hypertension vor.

Herzbeteiligung durch Pilzvergiftungen möglich

Angesichts dieser Befundskonstellation hegen die verantwortlichen Ärztinnen und Ärzte einen Verdacht: Wahrscheinlich hat die Pilzvergiftung, ausgelöst durch Amanita proxima, bei der Frau eine toxische Myokarditis verursacht. 

Herzbeteiligungen durch Pilzvergiftungen könnten, wenngleich selten, durchaus vorkommen, machen Kessler und Kollegen deutlich. Entsprechende Fällen seien nach dem Genuss von Trogia venenata (chinesischer Todespilz), Amanita franchetii (rauer Wulstling) und Ramaria rufescens (rosaspitzige Koralle) beschrieben worden, und hätten sich durch erhöhte kardiale Biomarker bis hin zu Rhythmusstörungen und kardiogenem Schock bemerkbar gemacht. Wie die Mediziner weiter ausführen, ist der ockerscheidige Eierwulstling vor allem für seine nephrotoxischen und hepatoxischen Effekte bekannt. Myokardschädigungen seien bisher nur selten berichtet worden, erläutern sie die Besonderheit des Falles.  

Frau entwickelt kardiogenen Schock

In dem Fall der 58-jährigen Frau hat das Gift des Pilzes aber offenbar auch das Herz in Mitleidenschaft gezogen. Weil sich der Zustand der Patientin immer weiter verschlechtert – sie entwickelt eine respiratorische Insuffizienz, Lungenstauung und wird hämodynamisch instabil – wird sie auf Intensivstation verlegt. Ein dort vorgenommenes zweites EKG zeigt eine Linksachsen-Abweichung, QRS-Verlängerung und ST-Streckenhebungen in V3–V4.

Und dann beginnt die Leidensgeschichte der Frau, die letztlich in einem kardiogenen Schock endet:

  • Wegen eines Lungenödems und der Anurie wird sie an die Hämodialyse angeschlossen.
  • Sie muss mechanisch beatmet werden. 
  • Sie entwickelt Kammertachykardien und Kammerflimmern, muss mehrmals defibrilliert und kann dadurch wiederbelebt werden, unter Gabe von Noradrenalin und Adrenalin steigt der arterielle Blutdruck auf > 50 mmHg.

Doch damit endet ihre Tortur nicht:

  • Da ihr Herzindex nur bei 1,81 L/min/m² liegt, wird ihr eine intraaortale Ballonpumpe (IABP) eingesetzt. Doch der hämodynamische Zustand der Frau verbessert sich nicht hinreichend, sodass kurz darauf Milrinon und Vasopressoren dazugegeben werden. 
  • Stunden später muss die Patientin wegen Kammertachykardien erneut defibrilliert werden. Die Ärzte entscheiden sich für den Anschluss einer venös-arteriellen ECMO.  
  • Zudem starten sie den Versuch, mit einer kontinuierlichen venovenösen Hämofiltration das Gift aus den Körper zu schwemmen.

Frau überlebt Pilzvergiftung ohne Folgeschäden

Unter diesen Maßnahmen verbessert sich der Zustand der Frau langsam: Die Rhythmusstörungen verschwinden, die LVEF verbessert sich. Einige Tage später können ECMO und IABP entfernt werden. Nach zwei Wochen ist es möglich, die künstliche Beatmung und Hämodialyse zu beenden.

Insgesamt verbringt die Frau 40 Tage im Krankenhaus. Am Ende kann sie ohne neurologische, kardiale, respiratorische oder renale Schädigungen entlassen werden. Sie beginnt eine Rehabilitation und trägt auch 100 Tage später keine gesundheitlichen Folgen von der Pilzvergiftung davon.

„Dieser Fall hebt die Bedeutung eines frühen und unmittelbaren kardialen Assessments im Falle von Intoxikationen hervor“, schließen Kessler und ihr Team als Lehre aus diesem Fall. Zudem mache der Fall deutlich, dass eine kardiale Dysfunktion nach Intoxikationen potenziell reversibel ist. Zu dem guten Ausgang beigetragen hat nach Einschätzung der Mediziner die Entscheidung für eine stufenweise Initiierung hämodynamischer Kreislaufunterstützungsmaßnahmen.


Fazit für Praxis

  • Pilzvergiftungen können in selten Fällen zu Herzschädigungen führen, mit lebensbedrohlichen Komplikationen bis hin zum kardiogenen Schock. 
  • Bei Patientinnen und Patienten im kardiogenen Schock ist nach Ansicht der Autorinnen/Autoren ein stufenweises teambasiertes Vorgehen empfehlenswert.
  • Zudem verweisen sie auf die potenziell günstige Wirkung einer IABP-Pumpe in solchen Fällen: „Obwohl eine IABP beim infarktbedingten kardiogenen Schock nicht mehr empfohlen wird, könnten einige Patienten von dem Einsatz als „bridge to decision“, „bridge to recovery“ oder „bridge to bridge“ profitieren, speziell im Falle einer medikamentösen Therapieresistenz“, schreiben sie in der Publikation. 
  • Darüber hinaus könnte der Einsatz eines extrakorporalen Entgiftungsverfahrens nach Ansicht von Kessler und ihrem Team eine Rolle für die Behandlung toxischer Myokardschäden spielen.


Literatur

Kessler A et al. Successful Treatment of Near Fatal Cardiogenic Shock Following Toxic Mushroom Ingestion; J Am Coll Cardiol CaseRep 2022;4:1292–1296; https://doi.org/10.1016/j.jaccas.2022.07.033

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