Nachrichten 20.09.2016

Neue ESC-Leitlinien zum Management bei Dyslipidämie

Die europäischen Leitlinien für das Management bei Patienten mit Dyslipidämien sind aktualisiert worden. Auch in der neuen Fassung dieser Guidelines wird am Konzept einer an Zielwerten orientierten Senkung des LDL-Cholesterins in Abhängigkeit vom individuellen Risiko festgehalten.

Die europäische Kardiologie-Gesellschaft (ESC) und die europäische Atherosklerose-Gesellschaft (EAS) haben ihre Leitlinien zum Management bei Störungen des Lipidstoffwechsels auf den neuesten Stand gebracht. Die neuen Guidelines sind Ende August beim ESC-Kongress 2016 in Rom vorgestellt und im „European Heart Journal“ publiziert worden.

Bestimmung des individuellen Risikos

Da atherosklerotische Gefäßerkrankungen in aller Regel das Produkt vieler interagierender Risikofaktoren sind, macht die Bestimmung des individuellen kardiovaskulären Risikos eines Patienten den Anfang. Von der Höhe des ermittelten Risikos hängt die Intensität der zu ergreifenden präventiven Maßnahmen einschließlich Lipidsenkung ab.

Zur Bestimmung des kardiovaskulären Risikos werden heute diverse Scores empfohlen. ESC und EAS favorisieren in ihren Dyslipidämie-Leitlinien das SCORE-System, das sich auf umfangreiche, in europäischen Populationen erhobene Daten stützt. Mithilfe der SCORE-Charts lässt sich das 10-Jahre-Risiko für ein tödliches kardiovaskuläres Ereignis ermitteln. Eine solche Risikobestimmung wird bei asymptomatischen Erwachsenen im Alter über 40 Jahre ohne kardiovaskuläre Erkrankung, Diabetes, Nierenerkrankung oder familiäre Hypercholesterinämie (FH) empfohlen.

Bei Patienten mit bestehenden kardiovaskulären Erkrankungen, bei Patienten mit Diabetes mellitus und schon vorliegenden Zielorganschäden sowie bei individueller Häufung mehrerer Risikofaktoren wie Hypertonie und Dyslipidämie erübrigt sich allerdings die SCORE-Bestimmung, da diese Personen automatisch unter die Kategorie „sehr hohes kardiovaskuläres Risiko“ fallen.

Dies gilt ebenso für Patienten mit Nierenerkrankungen. Hier ist allerdings eine leichte Modifizierung vorgenommen worden. Galt in der bisherigen ESC-Leitlinien eine GRF < 60 ml/min als Kriterium für ein „sehr hohes kardiovaskuläres Risiko“, wird die Grenze nun bei einer GRF < 30 ml/min gezogen. Für Patienten mit einer GRF von 30 – 59 ml/min gilt künftig die Kategorie „hohes kardiovaskuläres Risiko“.

Am Zielwerte-Konzept festgehalten

Primärer Ansatzpunkt der Lipidtherapie ist und bleibt das LDL-Cholesterin. Je höher das individuelle kardiovaskuläre Risiko, desto niedriger ist der für die LDL-Senkung vorgegebene Zielwert. Dass dieses Konzept nicht „evidenzbasiert“ ist, ist auch den Autoren der ESC/EAS-Leitlinien klar. Randomisierte Studien, in denen die klinischen Auswirkungen einer therapeutischen Einstellung auf unterschiedliche LDL-Zielwerte untersucht wurden, gibt es nicht. Dennoch will man in Europa – anders als in den USA – aus pragmatischen Gründen das Konzept der risikobasierten LDL-Zielwerte, die der Orientierung für Ärzte und Patienten dienen sollen, beibehalten.

Bei Patienten der Kategorie „sehr hohes Risiko“ wird ein LDL-Zielwert <70 mg/dL (1,8 mmol/L) empfohlen und/oder eine LDL-Reduktion um mindestens 50%, wenn der Ausgangswert im Bereich zwischen 70 mg/dl und 135 mg/dl (1,8 mmol/L und 3,5 mmol/L) liegt (Klasse 1/B- statt bisher 1/A-Empfehlung).

Bei Patienten der Kategorie „hohes Risiko“ wird weiterhin empfohlen, LDL-Cholesterinspiegel <100 mg/dL (< 2,6 mmol/L) anzustreben. Hinzugekommen ist jetzt die Empfehlung, alternativ das LDL-Cholesterin um mindestens 50% zu senken, wenn der Ausgangswert im Bereich zwischen 100 mg/dl und 200 mg/dl (2.6 - 5.1 mmol/L) liegt (1/B-Empfehlung).

Für Patienten mit niedrigem oder nur moderat erhöhtem Risiko wird nach wie vor ein Zielwert von <115 mg/dL (<3 mmol/L) vorgegeben (Klasse IIa/C-Empfehlung).

Kombinationen von Lipidsenkern

Wenn klar ist, welcher Zielwert aufgrund des individuellen Risikos maßgeblich ist, sollte der Arzt die prozentuale LDL-Senkung berechnen, die nötig ist, um diesen Zielwert zu erreichen. Dann sollte ein Statin in einer Dosierung, die eine solche LDL-Reduktion ermöglichen könnte, gewählt werden. Da Patienten unterschiedlich auf Statine ansprechen, kann eine Auftitrierung der Dosis erforderlich sein.

Wird mit der höchsten noch verträglichen Statin-Dosis der LDL-Zielwert nicht erreicht, ist an Lipidsenker-Kombinationen zu denken. Am ehesten sollte dann gemäß den neuen Leitlinien eine Kombination mit dem Cholesterinresorptionshemmer Ezetimib in Betracht gezogen werden (jetzt Klasse-IIa/B- statt zuvor IIb/B-Empfehlung). Auch eine Kombination mit einem Gallensäure bindenden Ionenaustauscher kann erwogen werden (Klasse-IIb/B-Empfehlung).

Erstmals haben auch die PCSK9-Hemmer Eingang in die Lipidleitlinien gefunden. Diese neuen Cholesterinsenker können demnach in Betracht gezogen werden bei Patienten der Kategorie „sehr hohes Risiko“, die trotz ausgereizter Therapie mit einem Statin in Kombination mit Ezetimib weiterhin anhaltend hohe LDL-Werte aufweisen (IIb/C-Empfehlung).

Literatur

Vorgestellt beim Kongress der European Society of Cardiology (ESC) 2016, 27.-31. August 2016, Rom.

2016 ESC/EAS Guidelines for the Management of Dyslipidaemias: The Task Force for the Management of Dyslipidaemias of the European Society of Cardiology (ESC) and European Atherosclerosis Society (EAS). Developed with the special contribution of the European Assocciation for Cardiovascular Prevention & Rehabilitation (EACPR), Eur Heart J 2016, online 27. August.