Plötzlicher Herztod: Neuer Marker für hohes Risiko entdeckt
Für die Indikationsstellung einer ICD-Implantation ist es entscheidend, das Herztod-Risiko von KHK-Patienten richtig einzuschätzen. Doch wie? Wissenschaftler haben nun einen vielversprechenden Ansatz entdeckt.
Hochrisikopatienten für einen plötzlichen Herztod könnten sich künftig vielleicht anhand einer Biomarker-Konstellation besser identifizieren lassen. Wissenschaftler um Prof. Michael Silverman von der Harvard Medical School in Boston haben eine Assoziation zwischen bestimmten zirkulierenden miRNAs und der Wahrscheinlichkeit für das Auftreten eines plötzlichen Herztodes ausfindig gemacht.
„Diese Studie ist der erste entscheidende Schritt für den Einsatz zirkulierender miRNA zur Risikostratifizierung beim plötzlichen Herztod“, hebt Dr. Victoria Parikh aus Standford die Bedeutung der Studie in einem begleitenden Editorial hervor.
LVEF mit eingeschränkter Aussagekraft
Momentan erfolgt die Risikostratifizierung bei Patienten mit koronarer Herzerkrankung hauptsächlich auf Basis der linksventrikulären Auswurffraktion (LVEF) und der NYHA-Klasse. Liegt die LVEF bei Patienten mit NYHA-Klasse II–III nach dreimonatiger optimierter Pharmakotherapie noch immer bei 35% oder darunter, empfiehlt die ESC-Leitlinie als prophylaktische Maßnahme die Implantation eines Kardioverter-Defibrillators (ICD). Allerdings würden 70 bis 80% aller plötzlichen Herztode bei Personen auftreten, die nach dieser Empfehlung keine Kandidaten für einen ICD gewesen wären, geben die Studienautoren zu bedenken.
Suche nach neuen Prognoseparametern
Genau für diese Patienten besteht dringender Bedarf nach weiteren Möglichkeiten zur Risikostratifizierung. In den Fokus der Forschungsbemühungen gerückt sind sog. zirkulierende MicroRNAs (miRNAs). Dabei handelt es sich um kurze nichtcodierende RNA-Stränge, die posttranskriptionell die Genexpression beeinflussen und damit regulierend in intrazelluläre Signalwege eingreifen.
18 miRNAs haben Silverman und Kollegen für ihre Analyse in die engere Auswahl gezogen. Dafür qualifiziert haben sich diese, weil sie in vorherigen Studien mit einem ungünstigen kardialen Remodeling bei Postinfarktpatienten assoziiert waren.
In der aktuellen Studie wurden die Plasmaspiegel der auserwählten miRNAs von 129 Patienten, die einen plötzlichen Herztod erlitten haben, mit den entsprechenden Spiegeln von 258 nach Alter, Geschlecht, Rasse und LVEF gematchten Personen ohne Herztod-Ereignis verglichen. Fast alle dieser Patienten (94%) hätten laut Leitlinien-Empfehlung die Kriterien für eine ICD-Implantation nicht erfüllt. Die Probanden entstammten allesamt der PRE-DETERMINE-Kohorte, in Rahmen derer 5.956 Patienten mit KHK im Mittel 3,6 Jahre prospektiv nachverfolgt worden sind.
Fast 5-fach erhöhtes Risiko bei bestimmter miRNA-Konstellation
Drei miRNAs korrelierten unabhängig mit einem erhöhten Herztod-Risiko: miR-150-5p, miR-29a-3p und miR-30a-5p. Für jede einzelne miRNA war die berechnete Assoziation zwar nur moderat. In einem Score vereint ging eine ungünstige Konstellation aller drei miRNAs jedoch mit einem 4,8-fach erhöhten Risiko für einen plötzlichen Herztod einher (p = 0,006). Ungünstig bedeutet in diesem Fall über dem Median liegende Konzentrationen von miR-150-5p und miR-29a-3p und ein unterhalb des Median liegender Plasmaspiegel von miR-30a-5p.
So könnten miRNAs das Herztod-Risiko beeinflussen
Daraufhin haben die Studienautoren die Gene in einem Netzwerk zusammengetragen, die von den jeweiligen miRNAs beeinflusst werden, und dadurch Schlüsselsignalwege identifiziert. Demzufolge scheinen die drei miRNAs an der Entstehung von Fibrose, Inflammation und Apoptose beteiligt zu sein. Diesen physiologischen Prozessen wird wiederum eine Rolle bei der Entwicklung von ventrikulären Rhythmusstörungen und/oder des plötzlichen Herztods zugeschrieben.
Für eine solche Beteiligung der miRNAs spricht auch das Ergebnis einer zusätzlich durchgeführten exploratorischen Analyse mit 21 Patienten, bei denen der plötzliche Herztod in Verbindung mit ventrikulären Tachykardien oder Vorhofflimmern aufgetreten war. Hier war miR-150-5p signifikant mit einem erhöhten VT/VF-Risiko assoziiert (Odds Ratio: 38,1; p= 0,0076). Ebenso hat sich in einer Analyse von 57 Personen eine Korrelation der miRNAs mit bestimmten Zytokinen ergeben.
Diese zahlreichen Verwicklungen lässt die Studienautoren vermuten, dass die miRNAs über diverse Mechanismen das Auftreten eines plötzlichen Herztodes begünstigen könnten.
Obwohl diese Erklärung plausibel scheint, warnen die Kardiologen aber vor voreiligen Schlüssen: Ehe die Erkenntnisse in die klinische Anwendung übertragen werden, sollten sie prospektiv und bei einer zusätzlichen Kohorte überprüft werden, fordern sie. Bis dahin bleibt offen, ob die drei miRNAs tatsächlich eine aktive und/oder kausale Rolle in der Genese des plötzlichen Herztodes spielen oder ob sie nur Nebenschauplatz bzw. Epiphänomen der daran beteiligten Prozesse sind.
Literatur
Silverman G et al. Circulating miRNAs and Risk of Sudden Death in Patients With Coronary Heart Disease. J Am Coll Cardiol EP. 2020. 6(1):70–9.
Parikh V. Circulating microRNAs as Biomarkers for Sudden Cardiac Death J Am Coll Cardiol EP. 2020.6(1):80–2.