„Wir brauchen ein krisenfestes Gesundheitssystem“
Der Deutsche Herzbericht 2021 macht einmal mehr deutlich, dass sich die COVID-Pandemie auf die Versorgung von Herzpatienten ausgewirkt hat. Prof. Thomas Voigtländer fordert angesichts der Zahlen ein „krisenfestes Gesundheitssystem“. Eine fortwährende Herausforderung bleibt die hohe Morbidität und Mortalität bei der Herzinsuffizienz.
Die Corona-Pandemie hat sich zumindest in ihren Peak-Zeiten stark auf die Versorgung von kardial erkrankten Patientinnen und Patienten ausgewirkt. Das jedenfalls legen Zahlen des jetzt veröffentlichten Deutschen Herzbericht 2021 nahe. Die neuesten Statistiken beziehen sich auf das erste Pandemie-Jahr 2020.
Knapp 40.000 Verstorbene mit bzw. wegen COVID-19
Wie Prof. Thomas Voigtländer, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Herzstiftung, in einer Pressekonferenz anlässlich des Herzberichtes berichtete, ist die Sterblichkeit durch koronare Herzerkrankungen und Herzinsuffizienz zwar in den letzten Jahren kontinuierlich gesunken. Und auch 2020 sind die Sterbefälle durch KHK um 6% und durch Herzinsuffizienz um 11,8% zurückgegangen. Allerdings sind die rückläufigen Zahlen, wie Voigtländer ausführte, wahrscheinlich nicht nur auf eine verbesserte Prävention, Diagnostik und Therapie zurückzuführen, sondern auch durch die COVID-Pandemie beeinflusst. So ist in der Todesursachen-Statistik von 2020 die COVID-19-Erkrankung neu hinzugekommen: mit knapp 40.000 Verstorbenen. Darunter seien einige Patienten gewesen, die eher „mit COVID“ statt „an COVID“ verstorben sind und die sonst vermutlich an einer Herz-Kreislauf-Erkrankung verstorben wären, gab Voigtländer zu bedenken.
Weniger Krankenhausaufnahmen und Prozeduren
Einen auffälligen Rückgang hat es auch bei den Krankenhausaufnahmen wegen Herz-Kreislauf-Erkrankungen gegeben: Insgesamt waren es 2020 fast 10% weniger Hospitalisierungen als 2018, vor allem die Aufnahmen wegen ischämischer Herzerkrankungen waren stark rückläufig (–11,4%). Das habe sicherlich an den logistischen Problemen im Pandemie-Jahr gelegen, erörterte Voigtländer die Gründe.
Starke Auswirkungen hatte die Pandemie auch auf die Anzahl durchgeführter herzmedizinischer Prozeduren: isolierte Koronaroperationen wurden deutlich seltener vorgenommen als 2018 (– 27,2%), ebenso wie Aortenklappenimplantationen (–6%); bei perkutanen Koronarinterventionen (PCI) wurde ein Rückgang von –5% verzeichnet, bei Koronarangiografien von –6%. Voigtländer geht davon aus, dass das spürbare Herunterfahren von Diagnostik und Therapie für die Patientinnen und Patienten negative prognostische Auswirkungen haben wird. Erste Hinweise darauf lieferten 2020 veröffentlichte Daten aus Hessen. Demzufolge sind in diesem Bundesland während des ersten Lockdown 7,6% mehr Menschen an Herz-Kreislauf-Erkrankungen verstorben als im selben Zeitraum des Vorjahres. Laut Voigtländer sollte man daraus Lehren ziehen: „Diese Zahlen zeigen, dass wir ein krisenfestes Gesundheitssystem brauchen“, forderte der Kardiologe in der anschließenden Diskussion.
Klinikaufnahmen wegen Herzinsuffizienz auf hohem Niveau
Eine immerwährende Herausforderung für das Gesundheitssystem bleibt die Herzinsuffizienz, das war vor Corona so und ist auch immer noch so, wie Prof. Stephan Baldus, DGK-Präsident, in seinem Vortrag herausstellte. „Die Herausforderung in unserem Fach schlecht hin ist die Behandlung und in Zukunft wahrscheinlich auch die Prävention der Herzinsuffizienz“, machte der Kardiologe aus Köln deutlich. Die Sterblichkeit sei weiterhin hoch, obwohl sie in den vergangenen Jahrzehnten deutlich zurückgegangen ist. So lag die 1-Jahres-Sterblichkeit 1987 noch bei 52%, inzwischen liegt sie bei circa 6%.
Eine starke Belastung stellen die mit der Herzinsuffizienz assoziierten Klinikeinweisungen dar. Diese sind seit Jahren auf einem hohen Niveau: 2020 gab es 429.104 Krankenhausaufnahmen wegen Herzschwäche. „18.000 Menschen in Berlin müssen jährlich wegen einer Herzinsuffizienz ins Krankenhaus“, veranschaulichte Baldus die aktuellen Zahlen.
Möglichkeiten der Rehabilitation zu selten genutzt
Eine Möglichkeit, die Krankenhauswiederaufnahmen wegen Herzinsuffizienz in den Griff zu bekommen, stellt die kardiologische Rehabilitation dar. Dazu wurden im Herzbericht erstmalig Statistiken vorgestellt. Wie Prof. Bernhard Schwaab, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Prävention und Rehabilitation von Herz-Kreislauferkrankungen (DGPR), erörterte, empfehlen die Leitlinien für Patientinnen und Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz nach einem akut-stationären Klinikaufenthalt eine Anschlussrehabilitation. Dazu gehören Bewegung und körperliche Aktivität, aber auch ein multiprofessionelles Management mit Optimierung der Medikation, psychosozialer Unterstützung, Lebensstilberatung usw. Solche Rehamaßnahmen werden Schwaab zufolge aber derzeit noch zu wenig genutzt: Die Zuweiserquote für Herzinsuffizienz-Patienten liegt in Deutschland bei 7,5% (Jahr 2020). „Hier gibt es noch sehr viel Luft nach oben“, so Schwaab. Der Präventionsmediziner verwies in diesem Kontext auf die Verordnungsmöglichkeit von Rehabilitationssport in Herzgruppen. „Jeder approbierte Arzt kann das ganz einfach verordnen“, so Schwaab. Seit Januar dieses Jahres wird auch die neue Herzinsuffizienzgruppe der DGPR (HiG) von allen Kostenträgern anerkannt.
Info: Auf www.herzstiftung.de/herzbericht können Sie den Herzbericht 2021 kostenlos anfordern.
Literatur
Hybrid-Pressekonferenz anlässlich der Vorstellung des Deutschen Herzbericht 2021, 14. September 2022