Zeitpunkt des Einschlafens: Ein neuer kardiovaskulärer Risikofaktor?
Nicht nur wie lange und tief jemand schläft, sondern auch zu welcher Uhrzeit die Nachtruhe beginnt, scheint sich signifikant auf das Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen auszuwirken. Ein bestimmtes Zeitfenster war der klare Sieger einer großen Analyse.
Während der Zusammenhang zwischen Schlafdauer und kardiovaskulären Erkrankungen bereits ausgiebig untersucht wurde, ist die Korrelation zwischen dem Zeitpunkt des Einschlafens und der Herzgesundheit noch nicht gut erforscht. Zudem beruhen bisherige Untersuchungen oft auf Eigenangaben der Studienteilnehmer. Forscher ermittelten die Schlafenszeit jetzt objektiv mithilfe von Beschleunigungsmessern – und entdeckten Assoziationen mit dem kardiovaskulären Risiko.
In die Studie von Dr. Shahram Nikbakhtian von Huma Therapeutics in London und seinem Team wurden Daten von mehr als 88.000 Personen aus der britischen Biobank einbezogen. Diese hatten sieben Tage lang einen Beschleunigungssensor am Handgelenk getragen, der Daten zu Einschlaf- und Aufwachzeit sammelte. Zudem waren sie körperlich untersucht worden und hatten Fragebögen zu Demografie, Lebensstil und Gesundheitszustand ausgefüllt. Die Mediziner verfolgten, welche kardiovaskulären Erkrankungen in den folgenden Jahren auftraten und ob dies mit den Schlafenszeiten korrelierte.
Gesündeste Schlafenszeit wohl zwischen 22 und 23 Uhr
Während der durchschnittlichen Nachbeobachtungszeit von rund sechs Jahren entwickelten 3.172 Probanden (4%) eine Herz-Kreislauf-Erkrankung. Dazu zählten Herzinfarkt, Herzinsuffizienz, chronisches Koronarsyndrom, Schlaganfall und transitorische ischämische Attacke (TIA). Die Inzidenz war bei Personen, die nach Mitternacht zu Bett gingen, am höchsten und bei denjenigen mit einer Schlafenszeit zwischen 22 und 23 Uhr am niedrigsten. Die Assoziation blieb auch nach Adjustierung auf Störfaktoren bestehen, darunter Alter, Geschlecht, Schlafdauer, unregelmäßige Einschlafzeiten, Chronotyp, Raucherstatus, BMI, Diabetes, Blutdruck, Cholesterinspiegel und sozioökonomischer Status.
Im Vergleich zu einem Zeitfenster zwischen 22 und 23 Uhr war das Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen bei späteren Einschlafzeiten signifikant erhöht: nach Mitternacht um 25% sowie zwischen 23 und 24 Uhr um 12%. Bei einer Schlafenszeit vor 22 Uhr war es signifikant um 24% gesteigert. Eine geschlechtsspezifische Analyse ergab, dass die Assoziationen bei Frauen stärker waren, wobei für Männer nur die Schlafenszeit vor 22 Uhr signifikant blieb. Die Probanden waren median 61 Jahre alt und 58% waren Frauen.
„Obwohl wir keine Kausalität nachweisen können, deuten die Ergebnisse darauf hin, dass besonders frühe oder späte Schlafenszeiten eher die innere Uhr stören und negativen Folgen für die kardiovaskuläre Gesundheit haben können“, fassen die Studienautoren zusammen. Die Studie zeige, dass es einen optimalen Zeitpunkt zum Einschlafen im zirkadianen Rhythmus des Körpers gebe und Abweichungen gesundheitsschädlich sein können. Erst nach Mitternacht einzuschlafen sei am riskantesten gewesen, möglicherweise, weil es dann unwahrscheinlicher sei, Morgenlicht zu sehen, das die innere Uhr beeinflusse.
Warum könnte die Korrelation bei Frauen stärker sein?
Die Gründe für die bei Frauen beobachteten stärkeren Assoziationen sind unklar. „Es ist denkbar, dass das endokrine System geschlechtsabhängig unterschiedlich auf eine Störung des zirkadianen Rhythmus reagiert“, lautet eine mögliche Erklärung der Forscher. Alternativ könne das höhere Alter der Probanden ein Störfaktor sein, da das kardiovaskuläre Risiko von Frauen nach der Menopause steige. Das bedeute, dass es möglicherweise doch keinen Unterschied zwischen Männern und Frauen bei der Stärke der Korrelation gebe, da dieser sich bei einer jüngeren Kohorte ausgleichen könnte.
„Schlafenszeiten sind ein potenzieller kardiovaskulärer Risikofaktor, unabhängig von anderen Risikofaktoren und Schlafparametern“, resümieren die Mediziner um Nikbakhtian. Sie könnten ein kostengünstiges und leicht umzusetzendes Ziel für Interventionen zur kardiovaskulären Prävention sein, etwa mithilfe von Beratungsgesprächen oder Smartphone-Apps.
Literatur
Nikbakhtian S et al. Accelerometer-derived sleep onset timing and cardiovascular disease incidence: a UK Biobank cohort study. European Heart Journal – Digital Health 2021. https://doi.org/10.1093/ehjdh/ztab088.
ESC-Pressemitteilung: Bedtime linked with heart health. 09.11.2021.