Ist kardiovaskuläre Primärprävention eher Männersache?
Im Vergleich zu Männern sind Frauen bei der Evaluation kardiovaskulärer Risikofaktoren bei Hausärzten schlechter aufgehoben als bei Hausärztinnen, wie jetzt eine französische Beobachtungsstudie zeigt.
Ist kardiovaskuläre Primärprävention Männersache? Das legen zumindest Studienergebnisse aus Frankreich nahe, für die Daten von 52 Hausärzten (33 männlich, 19 weiblich) aus dem Großraum Paris und von deren über 2.200 Patienten und Patientinnen ausgewertet wurden (European Journal of Preventive Cardiology online 22. Juni 2016).
Kardiovaskulär bedingte Todesfälle haben in der westlichen Welt seit den 1980er Jahren abgenommen, zum großen Teil auch aufgrund verbesserter Vorsorge. Der Rückgang ist bei Männern stärker als bei Frauen, Männer erhalten statistisch gesehen nach einem primären Ereignis auch die bessere Versorgung und Sekundärprävention. Da die meisten kardiovaskulären Ereignisse aber bei Patienten ohne bekannte kardiovaskuläre Vorerkrankung auftreten, hatte die Studie von Delpech et al. die Intention, geschlechtsspezifische Unterschiede bei der Erfassung kardiovaskulärer Risikofaktoren zur Primärprävention zu untersuchen.
Weniger Risikofaktoren bei Frauen erfasst
Dabei wurden sowohl männliche als auch weibliche Hausärzte sowie deren männliche und weibliche Patienten verglichen und die Arzt-Patienten-Interaktionen aller Geschlechterkonstellationen. Die Daten wurden über Fragebögen und anhand der Patientenakten ermittelt und statistisch ausgewertet. Es stellte sich heraus, dass die Beurteilung des kardiovaskulären Risikos auf Basis der individuellen Risikofaktoren mittels French-Scale oder SCORE-Scale bei Frauen seltener möglich war als bei Männern. Im Mittel lagen bei 36 bzw. 37 Prozent der Fälle für Patientinnen unzureichende Daten vor, denn die Faktoren Rauchen, Blutzucker- und Cholesterinwerte waren bei ihnen nicht erfasst worden, obwohl die Leitlinien das empfehlen.
Der Unterschied bei der Risikoevaluierung verringerte sich aber zugunsten der Frauen, wenn sie von Ärztinnen betreut wurden, die ihre Patienten offenbar unabhängiger vom Geschlecht behandeln als die männlichen Kollegen: Es fehlten bei Hausärztinnen nur bei 28 Prozent der Patientinnen die notwendigen Daten für die Anwendung der SCORE-Scale, gegenüber 44 Prozent der Patientinnen bei Hausärzten.
Hausärztinnen nahmen sich mehr Zeit
Interessant ist, dass sich über 50 Prozent der Hausärztinnen im Schnitt länger als 20 Minuten Zeit pro Patient/in nahmen, während dagegen fast 80 Prozent der männlichen Kollegen weniger als 20 Minuten pro Patient/in investierten. Das könnte erklären, warum weibliche Ärzte auch bei Frauen vergleichsweise mehr Risikofaktoren erfassten.
Ob die Ergebnisse, deren Datengrundlage statistisch nicht repräsentativ war, aus dem französischen Nachbarland auf Deutschland übertragbar sind, ist unklar.
Literatur
Delpech R et al. Primary prevention of cardiovascular disease: More patient gender-based differences in risk evaluation among male general practitioners. Eur J Prev Cardiol. 2016 Jun 21; doi: 10.1177/2047487316648476