Neue S3-Leitlinie kardiologische Reha: Das Wichtigste aus Sicht der Autoren
Zum ersten Mal wurde eine S3-Leitlinie zur kardiologischen Rehabilitation veröffentlicht. Inwieweit das Dokument Ärzte unterstützen kann, darüber informieren die Leitlinien-Koordinatoren Prof. Bernhard Rauch und Prof. Bernhard Schwaab.
Prof. Schwaab, Prof. Rauch, Sie waren federführend an der neuen Leitlinie zur kardiologischen Rehabilitation beteiligt. Wenn Sie diese mit der Vorgängerversion von 2007 vergleichen, welche wesentlichen Änderungen haben sich seither ergeben?
Schwaab/Rauch: Die erste Leitlinie zur kardiologischen Rehabilitation aus dem Jahr 2007 (DLL-KardReha; Bjarnason-Wehrens et al. Clin Res Cardiol Suppl 2: III/7 - III/54, 2007) war eine Experten-geführte Leitlinie ohne strukturierte Literatursuche und ohne extern geleitete und kontrollierte Konsensusfindung.
Die nun veröffentlichte neue Leitlinie zur kardiologischen Rehabilitation (LL-KardReha D-A-CH) wurde von der Deutschen Gesellschaft für Prävention und Rehabilitation von Herz-Kreislauferkrankungen, e.V. (DGPR) initiiert und gesponsert. Die Erstellung der Leitlinie erfolgte unter Mitwirkung und Kontrolle der Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften (AWMF), wobei vier zentrale Themen auf S3-Niveau bearbeitet wurden:
- Reha nach akutem Koronarsyndrom (ACS),
- Reha nach koronarer Bypass-Operation (CABG),
- Reha bei schwerer kompensierter Herzinsuffizienz sowie
- Rolle psychologischer Interventionen im Rahmen der Rehabilitation.
Für alle vier Themen wurden strukturierte Reviews und Metaanalysen durchgeführt. Die Ergebnisse sind im „European Journal of Preventive Cardiology“ veröffentlicht. Die weiteren Kapitel wurden auf S2k-Niveau mit semistrukturierten Literatursuchen und strukturierter Konsentierung (Leitung AWMF) erstellt (mehr dazu im Kasten).
Die Leitlinien-Koordinatoren |
Im Konsentierungsprozess waren neben der DGPR und der AWMF folgende wissenschaftlichen Gesellschaften beteiligt:
Weiterhin beteiligt waren die
Erstmals waren auch die betreffenden Fachgesellschaften von Österreich (Österreichische Kardiologische Gesellschaft, ÖGK, mit der Arbeitsgruppe Prävention, Rehabilitation, und Sportkardiologie) und von der Schweiz (Schweizer Gesellschaft für Kardiologie, SGK, und die „Swiss Working Group for Cardiovascular Prevention and Rehabilitation“, SCPRS) an der Entwicklung und Konsentierung der Leitlinie beteiligt. Vor dem Hintergrund dieser breiten Aufstellung erfolgte die Steuerung und Kontrolle der Leitlinienentwicklung neben der AWMF durch Vertreter wichtiger Fachgebiete. An dieser Steuergruppe beteiligt waren:
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Inwieweit kann die Leitlinie Ärzte bei der Versorgung ihrer Patienten unterstützen?
Schwaab/Rauch: Die Leitlinie ist umfassend und behandelt alle Aspekte der kardiologischen Rehabilitation von den allgemeinen Zielsetzungen über die Reha-Indikationen hin zu den Reha-Inhalten (mit den besonderen Schwerpunkten der kardiovaskulären Risikoreduktion und der sozialen Wiedereingliederung). Spezielle Patientengruppen werden ebenso behandelt wie die Nachsorge, neue Reha-Konzepte bis hin zur Qualitätssicherung. Auf der Basis aktueller anerkannter internationaler Leitlinien werden zudem die bekannten kardiovaskulären Risikoerkrankungen und die wichtigsten Komorbiditäten von ausgewiesenen Experten dargestellt.
Wichtige Botschaften der Leitlinie sind:
- die signifikante Senkung der Gesamtmortalität von Patienten nach ACS und nach CABG auch im Zeitalter der modernen medikamentösen Therapie und der akuten Koronarintervention,
- die signifikante Verbesserung der körperlichen Leistungsfähigkeit und der Lebensqualität bei Patienten mit schwerer systolischer Herzinsuffizienz (linksventrikuläre Ejektionsfraktion, LVEF < 40%), nicht jedoch der Gesamtmortalität).
- Eine weitere zentrale Botschaft ist die Abhängigkeit des Rehabilitationserfolgs von der Umsetzung eines Mindestmaßes an individuell angepasstem körperlichen Training sowie von der konsequenten Behandlung aller individuellen Risikofaktoren und Risikoerkrankungen.
- Psychosoziale Einflussfaktoren (z.B. Depressivität, Ängstlichkeit, Stressbelastung, Motivation, Selbstwirksamkeit usw.) sollen zum Beginn einer KardReha erfasst und in Bezug auf ihre Interventionsbedürftigkeit beurteilt werden („Screening“).
- Die Entscheidung über mögliche therapeutische Konsequenzen erfolgt gemeinsam zwischen Patient, Arzt und Psychologe.
Ein Kollege in der kardiologischen Versorgung hat einen Patienten mit chronischem Koronarsyndrom oder Herzinsuffizienz, früher galt ja mal die Einstellung: Bloß kein Sport! Was ist der heutige „State of the Art“: Was würden Sie dem Kollegen in Bezug auf Rehabilitation raten?
Bjarnason-Wehrens/Schwaab: Das individuell angepasste körperliche Training bleibt die Therapiegrundlage bei kardiovaskulären Erkrankungen im klinisch kompensierten Stadium mit unverändert hoher Bedeutung auf Prognose und/oder Lebensqualität. Trainingsart (z.B. Ausdauer- und Krafttraining), Trainingsintensität und -volumen müssen jedoch an die jeweiligen Krankheitsbilder angepasst werden und bedürfen somit einer angemessenen medizinischen Überwachung.
Besondere Aufmerksamkeit ist geboten beim Training von Patienten mit schwerer chronischer Herzinsuffizienz, nach Operationen und Interventionen an der Aorta, bei schwerer pAVK und nach Myokarditis.
Patienten nach Herztransplantation, mit „ventricle assist device“ (VAD), schwerer pulmonaler Hypertonie sowie Erwachsene mit angeborenen Herzfehlern (EMAH) sollen in Einrichtungen mit nachgewiesener spezieller Expertise und in enger Kooperation mit dem zuständigen Herzzentrum rehabilitiert werden.
Speziell bei Patienten mit Herzinsuffizienz wurde in den letzten Jahren die Bedeutung des sog. hochintensiven Trainings (HIIT) diskutiert. In Studien wurde untersucht, ob dieses evtl. sogar effektiver ist als moderates Bewegungstraining – mit kontroversen Ergebnissen. Was sagt die neue Leitlinie dazu?
Bjarnason-Wehrens/Rauch: Ausdauertraining und dynamisches Krafttraining stellen auch bei Patienten mit kompensierter Herzinsuffizienz die grundlegenden Trainingsmethoden dar!
Für die Wirksamkeit des aeroben Ausdauertrainings nach der Dauermethode haben wir eine klare Evidenz. Diese Trainingsform wird daher weiterhin als Basis der Trainingstherapie bei Patienten mit chronischer linksventrikulärer Herzinsuffizienz empfohlen.
Ein aerobes Intervalltraining (IT) mit kurzen Belastungsphasen (20–30 Sekunden) im Wechsel mit längeren Erholungsphasen (40–60 Sekunden) ist eine gute Ergänzung bzw. Alternative insbesondere bei dekonditionierten, schlecht belastbaren Patienten und wird von diesen Patienten gut toleriert.
Hochintensives Intervalltraining (HIIT) kann bei dem aktuellen Kenntnisstand als Trainingsmethode für Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz (CHI) in der Rehabilitation der Phase II nicht befürwortet werden. Diese Trainingsform kann bei ausgewählten, stabilen CHI-Patienten in der Phase III-Rehabilitation erwogen werden und dies ggf. in einer modifizierten Form z.B. mit kürzeren Belastungsphasen.
Ein prognostischer Vorteil ergibt sich bei Patienten mit reduzierter LVEF < 40% nicht.
Nun sieht die Realität doch oft anders aus als die Theorie. Häufig haben es Ärzte mit Patienten zu tun, die wenig Motivation haben, etwas an ihrem Lebensstil zu ändern. Was würden Sie Ihren Kollegen in solchen Situationen an die Hand geben?
Meng/Albus: Eine Veränderung des Lebensstils ist immer als Herausforderung und längerer Prozess zu betrachten, da im Laufe des Lebens entwickelte Gewohnheiten verändert werden müssen.
In strukturierten Schulungen, die den Patienten aktiv einbeziehen, können krankheitsbezogene Kompetenzen und die Eigenverantwortung im Umgang mit der Erkrankung gefördert werden. Um eine Lebensstiländerung zu unterstützen, sollen diese auch kognitiv-verhaltensbezogene Techniken (wie eigene Ziel setzen, Planung, Selbstbeobachtung, Feedback und Strategien der motivierenden Gesprächsführung) enthalten.
Ebenso sollen in kooperativen Gesprächen individuelle Lösungsansätze zusammen mit dem Patienten entwickelt werden. Dabei sind die aktuelle Lebenssituation (individuelle Motive, Veränderungsressourcen) sowie psychologische und soziale Einflussfaktoren zu berücksichtigen. Das Therapie-Team soll solche Lösungsansätze kennen und unterstützen. Auch längerfristige Unterstützungsmöglichkeiten in der ambulanten Betreuung, beispielsweise durch eine Reha-Nachsorge, sind wichtig und mit dem Patienten abzustimmen.
In der Sekundärprävention kardiovaskulärer Erkrankungen liegt ein großer Fokus auf der medikamentösen Prophylaxe. Sind Reha-Maßnahmen da nicht zweitrangig bzw. fallen kaum ins Gewicht?
Schwaab/Rauch: Die medikamentöse Therapie hat die Prognose wichtiger Herzkreislauferkrankungen signifikant verbessert. Dies gilt insbesondere für die koronare Herzkrankheit und für die Herzinsuffizienz. Diese positive Wirkung ist jedoch von einer hohen Adhärenz der Patienten abhängig. Es ist einer der wichtigsten Aufgaben der kardiologischen Rehabilitation, den Patienten die Wirkung und Bedeutung ihrer Medikamente verständlich zu machen, die medikamentöse Therapie individuell zu optimieren und Unverträglichkeiten und Nebenwirkungen zu registrieren und angemessen darauf zu reagieren.
Die medikamentöse Therapie ist jedoch nur ein Teil der Therapie und Sekundärprävention kardiovaskulärer Erkrankungen. Ebenso wichtig ist das individuelle Risikoverhalten in Bezug auf Rauchen, Ernährung und körperlichem Training.
Ein Patient der nach Herzinfarkt weiter raucht, konterkariert jegliche medikamentöse Therapie ebenso wie eine vorausgegangene Revaskularisierung.
Hier liegt also eine ganz besondere Verantwortung bei der kardiologischen Rehabilitation.
Die konsequente medikamentöse Therapie einerseits und die Umstellung auf einen gesunden Lebensstil andererseits sind somit „nur im Team“ mittel- und langfristig erfolgreich. Es ist die vornehme Aufgabe der Rehabilitation, diese Zusammenhänge jedem einzelnen Patienten verständlich und deutlich zu machen.
In der heutigen Zeit spielen sog. Wearables und andere digitale Techniken wie die Telemedizin eine immer größere Rolle in der Kardiologie. Die aktuelle Leitlinie geht darauf nicht ein, spielen solche Devices keine Rolle für die Rehabilitation?
Schwaab/Rauch: Auf die Telemedizin wird in der Leitlinie in einem separaten Kapitel eingegangen (Schwaab B). Sie wird als ergänzendes Instrument in der Langzeittherapie (ab Phase III Rehabilitation) gewertet, kann jedoch die konzertierte Aktion einer multidisziplinären Anschlussrehabilitation z.B. nach einem Herzinfarkt oder einer Herzoperation nicht ersetzen. Schrittzähler und ähnliches sind inzwischen Standard in den Smartphones, die Bewertung solcher Messungen zur Selbstkontrolle ist Standard der Schulungen in der Rehabilitation.
Ob sich hierdurch die Adhärenz bezüglich gewünschter Lebensstiländerungen langfristig erreichen lassen, ist aktuell nicht gesichert.
Die Leitlinie geht auch auf Ernährungsaspekte ein. Etwas überrascht hat mich die Empfehlung zur Einnahme von Omega-3-Fettsäuren (sowohl Eicosapentaensäure als auch Docosahexaensäure), da die Evidenz zumindest dieser Kombination in der Primärprävention in den letzten Jahren ja infrage gestellt wird…
Schwaab/Rauch: Die Empfehlung „mittlerer Stärke“ einer Substitution von Omega-3-Fettsäuren beschränkt sich auf Patienten mit Herzinsuffizienz bei eingeschränkter LV-Funktion. Diese basiert auf der GISSI-HF-Studie, die einen entsprechenden Nutzen als einzige Studie belegt hat. Die Empfehlung ist das Resultat intensiver Diskussionen im Autoren-Team unter Einbeziehung der an dieser Leitlinie beteiligten Biometriker.
Literatur
S3 – Leitlinie zur kardiologischen Rehabilitation (LL-KardReha) im deutschsprachigen Raum Europas, Deutschland, Österreich, Schweiz (D-A-CH), Langversion - Teil 1, 2019 AWMF Registernummer: 133/001, www.awmf.org
Rauch B et al. EJPC 2016
Salzwedel A et al. EJPC 2020
Albus C et al. EJPC 2019
Bjarnason-Wehrens B et al. EJPC 2019