Prognoseverbesserung durch Lipidsenker Inclisiran: „Erste Einblicke“
Eine Analyse gepoolter Daten aus drei Phase-III-Studien liefert erste Anhaltspunkte dafür, dass eine Cholesterinsenkung mit dem Wirkstoff Inclisiran kardiovaskulären Ereignissen vorbeugen könnte. Die entscheidenden Ergebnisse großer Endpunktstudien stehen noch aus.
Inclisiran, ein über RNA (Ribonukleinsäure)-Interferenz wirkender Cholesterinsenker, der den PCSK9-vermittelten Abbau hepatischer LDL-C-Rezeptoren hemmt, ist seit Dezember 2020 zugelassen zur Therapie bei Erwachsenen mit primärer Hypercholesterinämie (heterozygot familiär und nicht familiär) oder mit gemischter Dyslipidämie und unzureichender LDL-Cholesterinsenkung unter Statintherapie in maximal verträglicher Dosis oder im Fall von Statinintoleranz.
Inclisiran wird zu Therapiebeginn, dann nach drei Monaten und in der Folge alle sechs Monate per subkutaner Injektion verabreicht. (Informationen zu ersten Erfahrungen in der praktischen Anwendung des neuen Lipidsenkers in Deutschland erhalten sie hier.)
ORION-Forschungsprogramm als Basis für die Zulassung
Die Zulassung erfolgte auf der Grundlage von Phase-III-Studien des ORION-Forschungsprogramms, darunter ORION-9 bei Patienten mit heterozygoter familiärer Hypercholesterinämie, ORION-10 bei Patienten mit atherosklerotischen kardiovaskulären Erkrankungen und ORION-11 bei Patienten mit atherosklerotischen Gefäßerkrankungen oder erhöhtem kardiovaskulären Risiko. In allen drei Studien wurden die LDL-Cholesterinwerte der Teilnehmer durch Inclisiran jeweils in etwa halbiert.
Die zu klärende Frage lautet nun, ob die mit Inclisiran additiv zur standardmäßigen Lipidtherapie erreichbare Cholesterinsenkung in eine substanzielle Reduktion von Herzinfarkten und Schlaganfällen mündet. Alle drei ORION-Studien sind für sich viel zu klein, um darauf eine Antwort geben zu können. Gleichwohl könnte es lohnend sein, sich auf einer breiteren Basis von gepoolten Daten dieser Studien schon mal „erste Einblicke“ in das therapeutische Potenzial von Inclisiran bezüglich einer möglichen Prognoseverbesserung zu verschaffen, dachte sich eine Gruppe von internationalen ORION-Autoren um Prof. Kausik K. Ray vom Imperial College London.
Daten von 3.655 Studienteilnehmern gepoolt
In ihre Metaanalyse hat die Gruppe individuelle Patientendaten von insgesamt 3.655 Teilnehmern (32,5% Frauen) der drei ORION-Studien, die alle über 18 Monate mit Inclisiran oder Placebo behandelt worden waren, einfließen lassen. Vorab festgelegter „exploratorischer Endpunkt“ der Analyse waren schwerwiegende kardiovaskuläre Ereignisse (major cardiovascular events oder MACE), die als kardiovaskulär bedingte Todesfälle, Herzstillstände, nicht tödliche Herzinfarkte sowie tödliche und nicht tödliche Schlaganfälle definiert waren. Als nicht präspezifizierte Endpunkte wurden zudem alle tödlichen und nicht tödlichen Myokardinfarkte und Schlaganfälle evaluiert.
Anzumerken ist, dass die genannten Endpunkte in den drei ORION-Studien als von Studienärzten angegebene „unerwünschte Ereignisse“ (adverse events) und ohne Beurteilung durch ein unabhängiges Bewertungsgremium („Adjudication Committee“) für die Sicherheitsanalyse erfasst worden sind.
Zu Beginn lag der mittlere LDL-C-Wert der zumeist schon mit Statinen (91,8%) und partiell mit Ezetimib (14,2%) behandelten Studienteilnehmer bei 111,4 mg/dl. Nach 90 Tagen war in der Inclisiran-Gruppe in Relation zur Placebogruppe eine LDL-C-Reduktion um 50,6% (p<0,0001) und nach 540 Tagen eine Reduktion um 51,4% (p<0,0001) zu verzeichnen.
Rate an MACE-Ereignissen relativ um 26% niedriger
Innerhalb von 18 Monaten wurden insgesamt 303 MACE-Ereignisse (8,3%) registriert, von denen 131 (7,1%) unter Inclisiran und 172 (9,4%) unter Placebo aufgetreten waren. Der Unterschied entspricht einer relativen Risikoreduktion um 26% durch Inclisiran für den kombinierten MACE-Endpunkt (Odds Ratio: 0,74; 95%-KI: 0,58–0,94). In Anbetracht der relativ kurzen Dauer der Nachbeobachtung werten die Autoren der ORION-Metaanalyse dieses Ergebnis als „ermutigend“.
Im Hinblick auf tödliche und nicht tödliche Myokardinfarkte (33 vs. 41 Ereignisse; OR: 0.80; 95%-KI: 0,50–1,27) sowie auf tödliche und nicht tödliche Schlaganfälle (13 vs. 15 Ereignisse; OR: 0,86; 95%-KI: 0,41–1,81) bestanden allerdings keine signifikanten Unterschiede zwischen beiden Gruppen.
Definitive Klärung in zwei laufenden Großstudien
Den definitiven Beleg dafür, dass sich auch durch LDL-C-Reduktion mit Inclisiran das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse in klinisch relevantem Maß verringern lässt, müssen nun zwei laufende randomisierte kontrollierte Großstudie liefern, nämlich ORION-4 und VICTORION-2 Prevent. An beiden Studien sollen jeweils etwa 15.000 mit atherosklerotisch bedingten Gefäßerkrankungen und erhöhten LDL-C-Werten trotz Behandlung mit Statinen teilnehmen.
Literatur
Kausik K Ray et al. Inclisiran and cardiovascular events: a patient-level analysis of phase III trials. Eur Heart J 2023; 44, 129–138 https://doi.org/10.1093/eurheartj/ehac594.