Umweltfaktoren und Herzgesundheit – Experten fordern umfassende Maßnahmen
Umweltverschmutzung wirkt sich negativ auf die Herzgesundheit aus und wird für Millionen vorzeitiger Todesfälle verantwortlich gemacht. Experten fordern deshalb nun auch politische Maßnahmen, um den Gesundheitsschutz der Bevölkerung zu verbessern.
Umweltrisikofaktoren werden zunehmend als wichtige Determinanten von Herz-Kreislauf-Erkrankungen anerkannt. Während der Einfluss von Ernährung, Bewegung und Rauchen auf die Herzgesundheit gut untersucht ist, wird die Rolle von Faktoren wie Lärm und Luftverschmutzung oft nicht berücksichtigt, obwohl anerkannt wird, dass sie die beiden weltweit häufigsten, sehr weit verbreiteten Umweltrisikofaktoren darstellen.
9 Millionen vorzeitiger Todesfälle wegen Luftverschmutzung
Jüngste Daten deuten darauf hin, dass mittlerweile 9 Millionen vorzeitige Todesfälle auf Luftverschmutzung zurückzuführen sind. Diese werden hauptsächlich durch Feinstaubpartikel mit einem Durchmesser kleiner 2,5 Mikrometer (PM 2,5 µm) und damit assoziierten kardiovaskuläre Erkrankungen verursacht.
Das entspricht einem Verlust der Lebenserwartung von 2,9 Jahren, der durchaus mit dem des Tabakrauchens mithalten kann (2,2 Jahre). Wichtig ist, dass die gesundheitlichen Nebenwirkungen sowohl der Luftverschmutzung als auch des Verkehrslärms bei Expositionsniveaus beobachtet werden, die weit unter den regulatorischen Schwellenwerten liegen, die derzeit als sicher gelten. Mechanistische Untersuchungen liefern außerdem Hinweise auf systemische Auswirkungen von Luft- und Lärmbelästigung.
Dazu gehören massive zerebrale und vaskuläre Entzündungsreaktionen und oxidativer Stress sowie damit verbundene endotheliale Dysfunktion.
Internationale Umweltforscher fordern Maßnahmen
In einem aktuellen Leitartikel „Reduction of environmental pollutants for prevention of cardiovascular disease: it is time to act“, der vor Kurzem im European Heart Journal veröffentlicht wurde, hat eine Gruppe internationaler Umweltforscher die epidemiologischen und mechanistischen Ursachen für einen Zusammenhang zwischen Lärm, Feinstaub und Herzkreislauferkrankungen zusammengefasst und umfassende Maßnahmen zu Reduzierung dieser Krankheiten vorgestellt und diskutiert (s. Tabellen).
Empfehlungen in Bezug auf Luftverschmutzung
Art der Intervention |
Wirksamkeit bei Reduktion von |
Möglicher Einsatz |
Evidenz bei Reduzierung von Ersatzergebnissen |
Persönliche Luftreinigungsgeräte (Reduzierung fester, aber nicht gasförmiger Luftschadstoffe) |
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N95-Atemschutzgeräte |
Hochwirksam bei Reduzierung von PM2.5. Entfernt ˃ 95% inhalierte Partikel |
Anpassungs- und Gebrauchshäufigkeit sind wichtige Determinanten der Wirksamkeit. Ein Ventil- oder Mikroventilatorlüfter kann die Luftfeuchtigkeit senken und den Komfort erhöhen. |
Randomisierte kontrollierte klinische Studien über kurze Zeiträume (in der Regel bis zu 48 Stunden) mit Hinweisen auf Blutdrucksenkung und Verbesserung der Herzfrequenzvariabilität- |
Chirurgische Masken und Stoffmasken |
Nicht einheitlich wirksam bei der Verringerung |
Nur wenige Studien deuten darauf hin, dass diese die Exposition reduzieren können, sehr variabel in |
Nicht empfohlen aufgrund der Variabilität |
Tragbare Luftreiniger (PAC) |
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Tragbare Geräte mit HEPA-Filtern. Elektrostatische |
Entwickelt, um Luft in einem kleinen Bereich |
Wirksamkeit im Zusammenhang mit Reinluftzufuhrrate |
Gesamttrend in Studien deutet auf Nutzen für Blutdruck und Herzfrequenzvariabilität |
Heizungslüftung und Klimatisierung (HVAC) |
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Zentral in Häusern mit Filtern installiert, |
Wirksam bei Reduzierung von Konzentrationen, |
Die Effizienz ist variabel wegen Bau/Betriebsfaktoren (z.B. offene Fenster). |
Derzeit keine Daten verfügbar. |
Daran beteiligt waren das Universitätsklinikum Mainz (Thomas Münzel und Andreas Daiber), das Universitäts-/BHF-Zentrum für Herz-Kreislauf-Wissenschaften der Universität Edinburgh, Großbritannien (Mar Miller), das Genes and Environment, Danish Cancer Society Research Center, Kopenhagen, Dänemark (Mette Sørensen), das Max-Planck-Institut für Chemie in Mainz, (Jos Lelieveld) und das Harrington Heart and Vascular Institute, University Hospitals Cleveland, Ohio, USA (Sanjay Rajagopalan).
Besonders in Bezug auf die Luftverschmutzung lebt insgesamt 90% der Weltbevölkerung in einer Umgebung mit Luftverschmutzungswerten von
mehr als 10 µg/mᵌ, dem von der WHO empfohlenen Grenzwert.
Grenzwertüberschreitungen bei Luftverschmutzung
„Die Grenzwerte für die Luftverschmutzung mit PM2.5 in Europa liegen bei 25 µg/mᵌ, und damit 2,5-fach über den WHO-Grenzwerten. Sie sind für ca. 400.000 bis 500.000.000 Todesfälle pro Jahr bei Europäern verantwortlich. Wir müssen diese Grenzwerte dringend reduzieren. Luftverschmutzung verursacht hauptsächlich Herz-Kreislauf-Erkrankungen und ist ein kardiovaskulärer Risikofaktor, der nicht von Ärzten oder Patienten, positiv beeinflusst werden kann. Sondern nur Politiker können das ändern, indem sie Feinstaublimits festlegen, die uns vor diesen gesundheitlichen Gefahren schützen“, kommentiert der Hauptautor des Papiers.
Empfehlungen in Bezug auf den Lärm durch Straßenverkehr
Änderung der Lärmpegel |
Empfundene Änderung |
Methoden der Lärmreduktion |
1 dB |
sehr kleine Änderung |
Geschwindigkeitsreduktion um 10 km/h. Alle Autos durch Elektroautos |
3 dB |
hörbare, aber kleine Änderung |
Geschwindigkeitsreduktion um 30 km/h. Ruhige Straßenoberflächen. |
5 dB |
Wesentliche Änderung |
Aufstellen von Lärmschutzwänden. Reduzierung des Verkehrs um 65%. |
10 dB |
Große Veränderung, gefühlt Halbierung des Geräuschs. |
Bau hoher Lärmschutzwände. Reduzierung des Lärms um 90%. Schallreduzierende Fenster |
Mehr Bewusstsein für Risikofaktoren
Außerdem möchten die Autoren ein verstärktes Bewusstsein für die Gesundheitsbelastung durch Risikofaktoren wie Lärm und Luftverschmutzung schaffen. Und die Einbeziehung dieser Risikofaktoren in traditionelle medizinische Leitlinien, gerade im Bereich der Kardiologie (insbesondere Prävention, Herzinfarkt und Schlaganfall) können dazu beitragen, die
Gesetzgebung voranzutreiben. Erst dann lassen sich die entsprechenden Risiken reduzieren, was die kardiovaskuläre Gesundheit erheblich schützen könnte
Literatur
CardioNews Ausgabe 11-12 2020
Münzel T et al. Reduction of environmental pollutants for prevention of cardiovascular disease: it’s time to act, Eur Heart J, 41(41):3989–97; DOI: https://doi.org/10.1093/eurheartj/ehaa745