Droht nach dem Gichtanfall der Herzinfarkt?
Gichtpatienten sind langfristig einem erhöhten kardiovaskulären Risiko ausgesetzt, das weiß man schon. Jetzt deutet eine Studie darauf hin, dass auch unmittelbar nach einem Gichtanfall mit einem erhöhten Herzinfarkt- und Schlaganfall-Risiko zu rechnen ist.
Ein akuter Gichtanfall scheint das Risiko für kardiovaskuläre Komplikationen vorübergehend zu erhöhen. Eine entsprechende Assoziation hat sich jedenfalls in einer retrospektiven Beobachtungsstudie gezeigt.
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler um Dr. Edoardo Cipolletta, Universität von Nottingham, haben für ihre Studie anonymisierte Gesundheitsdaten von fast 15 Millionen Bürgern aus England gesichtet. Dabei identifizierten sie 62.574 Personen mit einer Gichtdiagnose. 10.475 von diesen hatten im weiteren Verlauf ein kardiovaskuläres Ereignis (Herzinfarkt oder Schlaganfall) erlitten, bei 52.099 war das nicht der Fall. Beide Gruppen (mit und ohne kardiovaskuläres Ereignis) wurden im ersten Schritt im Sinne einer „nested“ Fall-Kontroll-Studie gematcht und bzgl. ihrer aufgetretenen Gichtanfälle miteinander verglichen.
Einem kardiovaskulären Ereignis ging oft ein Gichtanfall voraus
Patienten mit einem kardiovaskulären Ereignis (Fall) hatten eine signifikant höhere Wahrscheinlichkeit, 0 bis 60 Tage vor Erleiden der Komplikation einen Gichtanfall gehabt zu haben, als jene, die keine Herz-Kreislauf-Komplikation erlitten hatten (Kontrolle) (adjustierte Odds Ratio, OR: 1,93). Auch 61 bis 120 Tage vorher waren die von einem kardiovaskulären Ereignis betroffenen Patienten vermehrt Gichtanfällen ausgesetzt (adjustierte OR: 1,57). 121 bis 180 Tage zuvor waren Gichtanfällen in beiden Gruppen vergleichbar häufig aufgetreten (adjustierte OR: 1,06).
„Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass Gichtanfälle mit einem transienten Anstieg von kardiovaskulären Ereignissen assoziiert sind“, schließen die Autoren daraus. Dieser Zusammenhang war selbst dann zu sehen, wenn Patienten, die zum Zeitpunkt der Gichtdiagnose bereits kardiovaskulär vorerkrankt waren, von der Analyse ausgeschlossen wurden.
Zusammenhang in weiterer Analyse bestätigt
Im zweiten Schritt führten die Autoren eine selbstkontrollierte Fallserie durch, um die Ergebnisse mithilfe eines weiteren methodischen Ansatzes zu bestätigen. Von dieser Analyse erhofften sich die Wissenschaftler, den Einfluss potenzieller Störfaktoren, die mit einer Fall-Kontroll-Studie bekanntermaßen einhergehen, möglichst kleinzuhalten. Die Analyse bezog sich auf 1.421 Patientinnen und Patienten, die mindestens einen Gichtanfall und nachfolgend mindestens ein kardiovaskuläres Ereignis erlitten hatten. Die Autoren verglichen das kardiovaskuläre Risiko einer Person in der exponierten Zeit (während der 180 Tage nach dem Gichtanfall) mit dem Risiko in Zeiten, die in keinem Zusammenhang mit dem Gichtanfall standen (also z.B. 150 Tage vor dem Gichtanfall oder 181–540 Tage nach dem Gichtanfall). Während der exponierten Zeit waren tatsächlich deutlich mehr kardiovaskuläre Komplikationen aufgetreten als in anderen Zeitspannen (Incidence Rate Ratio, IRR: 1,65).
Aber: Kausalität lässt sich daraus nicht ableiten
Aus den gezeigten Assoziationen lässt sich allerdings keine Kausalität ableiten. Bedeutet, man kann nicht sagen, ob der Gichtanfall ursächlich Auslöser des Herzinfarkts/Schlaganfalls war. Denkbar ist beispielsweise auch, dass die Behandlung, die infolge eines Gichtanfalls begonnen wurde, zu einem Anstieg an kardiovaskulären Ereignisse geführt hat. Immerhin gibt es Gichtmittel, die in Studien mit einer erhöhten kardiovaskulären Mortalität assoziiert waren.
Literatur
Cipolletta E et al. Association Between Gout Flare and Subsequent Cardiovascular Events Among Patients With Gout. JAMA. 2022;328(5):440-50. doi:10.1001/jama.2022.11390