Schlaganfall: Lokale Lyse nach Thrombektomie kann Prognose verbessern
Die meisten Schlaganfallpatienten tragen – trotz erfolgreicher mechanischer Thrombektomie – neurologische Störungen davon. Neurologen haben jetzt versucht, die Erfolgschancen der Schlaganfalltherapie durch eine zusätzliche lokale Lyse zu verbessern. Das gelang erstaunlich gut, wobei die praktische Relevanz der Ergebnisse noch unklar ist.
Eine zusätzlich intraarteriell applizierte Lyse-Therapie könnte die Prognose von Patienten mit schweren Schlaganfällen verbessern – und zwar deutlicher, als es durch eine alleinige mechanische Thrombektomie zu erreichen ist. Ein solcher Effekt hat sich jedenfalls in der randomisierten, doppelblinden, multizentrischen CHOICE-Studie gezeigt. Die Ergebnisse der Studie sind aktuell bei der International Stroke Conference (ISC) 2022 vorgestellt und zeitgleich im JAMA publiziert worden.
„Eine zusätzliche Administration von intraarterieller Alteplase am Ende der endovaskulären Prozedur resultierte in einem verbesserten klinischen Outcome“, berichten die Studienautoren um Dr. Arturo Renú aus Barcelona über die Ergebnisse der Phase IIb-Studie.
Bei Patienten mit Verschlüssen großer hirnversorgender Arterien hat sich die mechanische Thrombektomie inzwischen zur Standardtherapie entwickelt. Dahin gepusht wurde das endovaskuläre Verfahren durch mehrere seit 2015 publizierte randomisierte Studien, die dessen Überlegenheit gegenüber einer alleinigen systemischen Thrombolyse beweisen konnten. In der Regel erfolgte in diesen Studien die Lyse-Therapie vor der mechanischen Thrombektomie; das Medikament wurde hier intravenös, also systemisch, verabreicht. Ein solches Vorgehen wird derzeit von den Leitlinien für die meisten Schlaganfallpatienten mit Verschlüssen einer großen Arterie empfohlen.
Neurologisches Outcome trotz Thrombektomie meist nicht gut
Allerdings überleben, wie Renú und Kollegen berichten, weniger als ein Drittel der Schlaganfallpatienten, die auf diese Art und Weise behandelt werden, den Schlaganfall, ohne neurologische Störungen davonzutragen. Oder anders ausgedrückt: Die meisten Patienten erleiden trotz erfolgreicher mechanischer Thrombektomie neurologische Schäden. Für diese unbefriedigende Situation gibt es nach Ansicht der spanischen Mediziner zwei Erklärungen: Entweder das Hirngewebe ist bereits irreversibel beschädigt, also die Reperfusionstherapie kommt zu spät, oder es existieren noch sog. Mikrookklusionen im Kapillarbett des betroffenen Gewebes (auch No-Reflow-Phänomen genannt), welche durch die mechanische Revaskularisationsmaßnahme nicht aufgelöst werden und in der Folge weitere Schäden verursachen. Eine solche gestörte Reperfusion der Mikrozirkulation ist in einer digitalen Subtraktionsangiografie – dem Standardverfahren zur Erfassung des Reperfusionserfolges während einer Thrombektomie – nicht unbedingt zu sehen. Sprich, selbst wenn das zerebrale Angiogramm nach der Thrombektomie normal erscheint, könnten in den kleinsten Blutgefäßen noch Thromben vorhanden sein.
Diese Theorie brachte Renú und Kollegen zu der Überlegung, das potenziell vorhandene Thrombusmaterial in der Mikrozirkulation durch eine zusätzliche intraarterielle Alteplase-Injektion zu beseitigen – um damit die Prognose der Patienten zu verbessern. Die CHOICE-Studie sollte den Beweis für ihre Hypothese liefern.
Zusätzliche Lyse nach erfolgreicher Thrombektomie
Für die Studie wurden in 7 katalanischen Schlaganfallzentren insgesamt 121 Schlaganfallpatienten mit großen Gefäßverschlüssen, die innerhalb von 24 Stunden nach Symptombeginn eine erfolgreiche mechanische Thrombektomie erhalten haben, 1:1 randomisiert: Entweder bekamen sie unmittelbar nach der mechanischen Reperfusion intraarteriell Alteplase in einer Dosis von 0,255 mg/kg für 15 bis 30 Minuten lang (bis zu einer Maximaldosis von 22,5 mg) appliziert oder sie erhielten stattdessen eine Placebo-Infusion. Eine erfolgreiche Thrombektomie war definiert als mindestens 50%ige Reperfusion stromabwärts der initial verschlossenen Arterie, entsprechend einem eTICI-Score von 2b50 oder größer in der digitalen Subtraktionsangiografie. Letztlich erhielten 113 Patienten die ihnen zugeteilte Behandlung. Bei den verbliebenen Patienten wurde sich dagegen entschieden, z.B. wegen intraprozeduraler Komplikationen, wegen eines erneuten Verschlusses des betroffenen Gefäßes, einer Corona-Infektion usw.
Mehr Patienten überlebten mit exzellentem neurologischem Outcome
90 Tage später hat sich die zusätzliche lokale Lyse-Therapie unter neurologischen Gesichtspunkten tatsächlich ausgezahlt: Denn der Anteil an Patienten, der nach drei Monaten ohne relevante neurologische Einschränkungen überlebt hat (exzellentes Outcome definiert als modifizierte Rankin-Skala: 0–1), konnte durch die intraarterielle Alteplase-Administration um 18,4% erhöht werden (59,0% mit Alteplase vs. 40,4% mit Placebo, 95%-KI: 0,3%–36,4%; p=0,047). Die zusätzliche Lyse-Therapie ging nicht auf Kosten eines erhöhten Risikos für symptomatische oder asymptomatische intrakranielle Blutungen (entsprechend 0,0% vs. 3,8% bzw. 31,1% vs. 34,6%). 8% der Patienten mit lokaler Alteplase vs. 15% der Patienten mit Placebo-Behandlung waren nach 90 Tagen verstorben (p=0,25).
„Bemerkenswerter Behandlungseffekt“
„Der 18%ige Behandlungseffekt in einer Studie mit 113 Patienten ist bemerkenswert“, äußert sich Prof. Pooja Khatri in einem Editorial zu diesem Resultat. Trotz allem mahnt die US-amerikanische Neurologin zur Vorsicht, was die klinischen Implikationen der Ergebnisse betrifft. Ihre Zurückhaltung begründet sie zum einen mit dem Umstand, dass die Studie aufgrund der COVID-19-Pandemie vorzeitig gestoppt worden ist. Es sei bekannt, dass der Behandlungseffekt bei vorzeitig beendeten Studien überschätzt werde, so Khatri. Zweifel an der Effektivität der Behandlung ist ihrer Ansicht nach auch aufgrund des sehr breiten Konfidenzintervalls angebracht.
Aber: Für Änderungen der Praxis ist es zu früh!
Des Weiteren beäugt die US-Neurologin das konzeptuellen Design der Studie kritisch. In der Studie sei es erlaubt gewesen, die indizierte 60-minütige intravenöse Alteplase-Infusion vorzeitig zu beenden, erläutert sie ihre Bedenken. Diese Tatsache könne dazu geführt haben, dass einige Patienten eine zu niedrige Dosis der systemischen Lyse-Therapie erhalten haben, so Kathri, und womöglich sei so ein Ungleichgewicht innerhalb der beiden Gruppen entstanden. 57% aller Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer sind vor der Thrombektomie mit einer systemischen Lyse behandelt worden, weitere 10% hatten weniger als die Hälfte der indizierten Dosis erhalten. „Die intraarterielle Alteplase könnte, ganz oder zum Teil, einfach der Ersatz der vorenthaltenen intravenösen Alteplase gewesen sein“, gibt Khatri zu bedenken.
Die diesbezügliche Praxis zu ändern, ist auch keine Absicht der Studienautoren: „Die aktuellen Leitlinien empfehlen, dass alle geeigneten Patienten eine intravenöse Alteplase vor der Thrombektomie erhalten sollten und die Ergebnisse dieser Studie widersprechen dieser Empfehlung nicht“, machen sie deutlich. Eine generelle Änderung der Praxis halten die Studienautoren aufgrund der genannten Limitationen ebenfalls für verfrüht. Die Ergebnisse seien als vorläufig zu interpretieren und müssten erst repliziert werden, erläutern sie ihre Vorbehalte.
Literatur
Renú A et al. Effect of intra-arterial alteplase vs placebo following successful thrombectomy on functional outcomes in patients with large vessel occlusion acute ischemic stroke: the CHOICE randomized clinical trial. JAMA. 2022; doi:10.1001/jama.2022.1645
Khatri P. Intra-arterial Thrombolysis to Target Occlusions in Distal Arteries and the Microcirculation. JAMA. 2022. doi:10.1001/jama.2021.25014
Chamorro A: International Stroke Conference (ISC) 2022.