Nachrichten 13.05.2022

Wie fliegende Ärzte die Schlaganfall-Therapie optimieren können

Wie ein Zeitgewinn von 90 Minuten bei der endovaskulären Therapie von Patienten mit ischämischem Schlaganfall in einer ländlichen Region zu erreichen ist, zeigt ein Pilotprojekt in Bayern.

Wenn ein Patient im südöstlichen Bayern einen ischämischen Schlaganfall erlitt, bei dem eine endovaskuläre mechanische Thrombektomie per Katheter als Therapie erfolgversprechend erschien, wurde er für gewöhnlich aus einer nicht-spezialisierten Klinik der Region in eine Münchner Klinik zur Behandlung durch spezialisierte Neuroradiologen verlegt.

Je früher die endovaskuläre Behandlung, bei der Blutgerinnsel aus proximalen Hirnarterien per Katheter entfernt werden, desto größer sind die Chancen, Hirngewebe vor den Folgen der Ischämie zu bewahren („time is brain“). Im bayrischen Pilotprojekt „Flying Intervention Team“ (FIT) ist deshalb nach neuen Möglichkeiten gesucht worden, um Therapieverzögerungen weiter zu minimieren. Das könnte, so die Idee hinter dem Projekt, dadurch erreichbar sein, dass nicht die Patientinnen/Patienten zum Spezialisten in ein großstädtisches Interventionszentrum, sondern die neurointerventionellen Spezialisten per Helikopter zu den Patienten in der Region gebracht werden.

Signifikante Verkürzung der Zeit bis zum Therapiebeginn

Dass diese Idee in ihrer praktischen Umsetzung tatsächlich einen erheblichen Zeitgewinn bringt, zeigen die jetzt im medizinischen Fachblatt JAMA publizierten Ergebnisse des Projekts. Danach konnte das aus München per Hubschrauber in regionale Partnerkliniken im Umland eingeflogene „Flying Intervention Team“, bestehend aus einem Neuroradiologen und einem medizinisch-technischen Radiologie-Assistenten, mit der Thrombektomie-Behandlung im Schnitt deutlich früher beginnen als die Neuroradiologen bei den in Münchner Spezialzentren verlegten Patienten. Die Zeit zwischen der Entscheidung für eine endovaskuläre Thrombektomie und dem Start dieser perkutanen Behandlung (Gefäßpunktur) wurde im Schnitt um 90 Minuten verkürzt.

Die erhebliche Zeitersparnis ist wohl vor allem auf die Parallelisierung von Abläufen in der medizinischen Versorgung der Patientinnen und Patienten zurückzuführen: Während sich das „Intervention Team“ im Anflug befindet, kann der Patient in der Partnerklinik bereits auf die mechanische Thrombektomie per Katheter vorbereitet werden, die dann nach Eintreffen des Neuroradiologen/ der Neuroradiologin umgehend durchgeführt werden kann.

Transport im Hubschrauber zum Patienten

An dem im Februar 2018 gestarteten Projekt waren 13 in das telemedizinische Schlaganfallnetzwerk TEMPiS eingebundene Kliniken in Südostbayern beteiligt – eine Region, in der pro Jahr rund 5.500 Patienten mit akutem Schlaganfall behandelt werden. Alle Zentren hatten eine neurologische oder internistische Abteilung mit einer qualifizierten „Stroke Unit“. Das von einem Helikopter-Service in die Partnerkliniken transportierte „Intervention Team“ wurde von zwei Münchner Spezialzentren (München Klinik Harlaching, Klinikum rechts der Isar) gestellt.

An dem Pilotprojekt waren 157 Patienten mit ischämischem Schlaganfall beteiligt, bei denen sich die Ärztinnen und Ärzte für eine Thrombektomie entschieden hatten. Daraufhin waren die Patienten (medianes Alter: 75 Jahre, 51% Frauen) im wöchentlichen Wechsel entweder vor Ort von einem eingeflogenen Interventionsteam (n=72) oder nach dem Transfer in ein spezialisiertes Interventionszentrum (n=85) behandelt worden.

Mit 58 versus 148 Minuten war die Zeitspanne zwischen Therapieentscheidung und Beginn der Thrombektomie-Prozedur in der Gruppe der nicht verlegten und von eingeflogenen Spezialisten behandelten Patienten signifikant kürzer (p < 0,001), so das Hauptergebnis des Projekts.

Kein signifikanter Unterschied bzgl. neurologischer Beeinträchtigungen

Im Hinblick auf den funktionellen Status der Patienten bestand nach drei Monaten trotz eines Trends zugunsten besserer Ergebnisse in der vom Interventionsteam behandelten Gruppe keine wesentliche Differenz zwischen beiden Versorgungsstrategien: Der modifizierte Rankin-Score (mRS) als Maß für das Ausmaß der neurologischen Beeinträchtigung nach Schlaganfall war in beiden Gruppen nicht signifikant unterschiedlich (p = 0,07).

Literatur

Hubert G.J. et al. Association Between Use of a Flying Intervention Team vs Patient Interhospital Transfer and Time to Endovascular Thrombectomy Among Patients With Acute Ischemic Stroke in Nonurban Germany. JAMA 2022, 27(18):1795-1805. doi:10.1001/jama.2022.5948