Brugada-Syndrom: Bessere Risikostratifizierung für ICD gefordert
Es herrscht Unsicherheit, welche Patienten mit einem medikamenteninduzierbaren Typ 1-Brugada-Syndrom einen ICD benötigen. Eine Studie macht nun deutlich, dass die im Alltag häufig verwendeten Kriterien offenbar wenig aussagekräftig sind.
Was tun, wenn sich bei einem Patienten durch Medikamente ein Typ 1-Brugada-Muster im EKG induzieren lässt, braucht er dann einen ICD oder nicht? Entscheidend für die Beantwortung dieser Frage ist, wie hoch das individuelle Risiko des Patienten für einen plötzlichen Herztod ist. Mangels Daten besteht jedoch Unsicherheit, welche Kriterien für eine solche Risikostratifizierung herangezogen werden sollten. Gerade was die Aussagekraft von induzierbaren Rhythmusstörungen in elektrophysiologischen Untersuchungen (EPU) betrifft, ist man sich uneins.
Italienische Kardiologen um Dr. Vincenzo Rosso haben sich nun genauer mit dieser Patientenpopulation befasst, und stellten dabei fest, dass die übliche Praxis zur ICD-Indikationsstellung durchaus verbesserungswürdig ist.
Synkope und induzierbare Arrhythmien als Entscheidungsgrundlage
Follow-up-Daten von 226 Patienten aus der IBRYD-Studie, bei denen sich durch eine Flecainid-Administration ein Typ-1-Brugada-Muster im EKG provozieren ließ, werteten Rosso und Kollegen retrospektiv aus. Bei 142 Patienten – also 62,8% – ist nach der Diagnosestellung ein ICD implantiert worden. Als Entscheidungsgrundlage hierfür wurden häufig zurückliegende Synkopen und/oder im Rahmen einer EPU induzierbare Tachyarrhythmien herangezogen.
Diese Kriterien stellten sich am Ende jedoch hinsichtlich der weiteren Prognose der Patienten als wenig aussagekräftig heraus. „In der EPU induzierbare ventrikuläre Tachyarrhythmien waren nicht prädiktiv für arrhythmische Ereignisse bei ICD-Trägern versus Nicht-ICD-Trägern und in symptomatischen versus asymptomatischen Subgruppen“, berichten die Autoren. Der positive prädiktive Wert hierfür lag gerade mal bei entsprechend 9,6% und 8,9%.
Derzeitige Leitlinienempfehlungen
In den ESC-Leitlinien von 2015 wird eine primärprophylaktische ICD-Implantation bei Patienten mit Brugada-Syndrom im Übrigen nur in folgenden Konstellationen empfohlen:
- Bei Patienten mit spontan auftretenden anhaltenden ventrikulären Tachykardien (Klasse 1 C),
- bei Patienten mit spontan auftretenden Typ-1-EKG-Mustern und einer zurückliegenden Synkope (Klasse IIa C), und
- bei Patienten, die im Rahmen einer EPU Kammerflimmern entwickeln, hier eine Klasse IIb C-Empfehlung.
„Programmierte Ventrikelstimulation bei diesen Patienten nicht nützlich“
„Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass eine programmierte Ventrikelstimulation nicht nützlich ist, um aus der medikamenteninduzierten Typ-1-Brugada-Population jene Patienten mit einem erhöhten Arrhythmierisiko zu identifizieren“, schlussfolgern die italienischen Kardiologen aus ihren aktuellen Daten. Es könne auf der anderen Seite aber ein gutes Tool sein, um solche mit einem niedrigen Risiko zu identifizieren, führen sie ihre Überlegungen weiter aus, angesichts des hohen negativen prädiktiven Wertes von 96,6% und der Spezifität von 43,2%.
Prinzipiell war das Arrhythmierisiko in dieser Population nach Einschätzung der Autoren „sehr gering“. So erlitten während des durchschnittlichen 8,8-jährigen Follow-up gerade mal elf Patient (4,9%) ein Ereignis des primären Endpunktes, dazu zählten angemessene ICD-Schocks und plötzliche Herztode. Die jährliche Inzidenz an abgesetzten ICD-Therapien betrug 0,38%. Von den Patienten ohne ICD erlitt einer während dieser Zeit einen plötzlichen Herztod.
ICD-Komplikationen häufig
Auf der anderen Seite kam es relativ häufig zu ICD-assoziierten Komplikationen: insgesamt 29 Ereignisse bei 21 Patienten (14,8%), am häufigsten waren Sondendefekte (Anteil von 34,5%). Bei 4,9% der ICD-Trägern wurden unangemessene Schocks abgegeben. „Angesichts dieser Langzeit-Follow-up-Daten scheint das Nutzen-Risiko-Verhältnis für den Einsatz eines ICDs bei Patienten mit medikamenteninduziertem Typ-1-Brugada weniger günstig zu sein als in anderen klinischen Situationen, einmal wegen der niedrigen jährlichen Interventionsrate und zum anderen wegen des hohen Prozentsatzes an Device-assoziierten Komplikationen“, so die Autoren.
Ausgewogenere Nutzen-Risiko-Abwägung
Die italienischen Kardiologen sehen es deshalb für notwendig, die Risikostratifizierung in dieser Patientenpopulation zu optimieren: „Eine bessere Risikostratifizierung und größere randomisierte kontrollierte Studien, speziell in diesem Setting, wären erstrebenswert“, schreiben sie. Sie wollen damit selbstverständlich nicht erreichen, dass solchen Patienten prinzipiell kein ICD implantiert wird. Denn auf der anderen Seite wären von den ICD-Trägern, die einen angemessenen Schock erhalten haben, ohne diese Maßnahme sonst womöglich welche verstorben, machen sie deutlich. Unklar ist zudem, wie hoch das Lebenszeitrisiko für diese Patienten ist, die Ereignisraten könnten ja über die Zeit weiter zunehmen, bemerken sie. Rosso und Kollegen plädieren aber dafür, bei der Entscheidungsfindung beides zu berücksichtigen: das Arrhythmierisiko und das Risiko für Device-bezogene Komplikationen.
Da es sich um eine retrospektive Analyse handelt, sind gewisse Limitationen zu beachten. So wurden anhand von Assoziationen Rückschlüsse darauf gezogen, welche Kriterien die behandelten Ärzte für die ICD-Indikationsstellung herangezogen haben. Damit ist allerdings nicht ausgeschlossen, dass auch andere Kriterien zur Entscheidungsfindung beigetragen haben.
Literatur
Russo V et al. Electrophysiological Study Prognostic Value and Long-Term Outcome in Drug-Induced Type 1 Brugada Syndrome: The IBRYD Study. J Am Coll Cardiol EP. 2021;7(10):1264–73