Plättchenhemmer bei STEMI: Ist es sinnvoll, die Tablette zu zerkleinern?
Die Leitlinien empfehlen, P2Y12-Inhibitoren bei Patienten mit ST-Hebungsinfarkt (STEMI) so schnell wie möglich zu verabreichen. Einen verbesserten Wirkeintritt verspricht man sich von dem Zerkleinern der Tablette. Eine randomisierte Studie lässt jedoch Zweifel an dieser Strategie aufkommen.
Es nützt offenbar wenig, Prasugrel-Tabletten STEMI-Patienten vor Eintreffen in das Krankenhaus in zermahlener Form zu verabreichen. In der randomisierten COMPARE CRUSH-Studie hat diese Strategie den Koronarfluss nicht besser wieder herstellen können, als wenn die Tablette als Ganzes verabreicht wurde.
Studienautor Prof. Georgios Vlachojannis hat die Ergebnisse beim TCT-Kongress vorgestellt und zeitgleich in „Circulation“ publiziert.
Stärkere Plättchenhemmung…
„Die prähospitale Gabe von gecrushten Prasugrel-Tabletten bei STEMI-Patienten hat den TIMI 3-Fluss in der infarktverantwortlichen Arterie im Vergleich zur Verabreichung einer ganzen Tablette nicht verbessert“, brachte der Kardiologe von der Universitätsklinik in Utrecht das Hauptresultat in der Publikation auf den Punkt. Genauso wenig hat sich mit dieser Strategie öfter eine vollständige Auflösung der ST-Streckenhebung eine Stunde nach der PCI beobachten lassen.
Und das obwohl das Zerkleinern der Tablette tatsächlich einen schnelleren Wirkeintritt zur Folge hatte: So war die Plättchenaktivität zu Beginn der PCI bei den Patienten, die die zermahlene Tablette eingenommen hatten, deutlich geringer als bei den Patienten mit der üblichen Darreichungsform (P2Y12 Reactivity Unit: 192 vs. 227; p ˂ 0,01).
Im Schnitt haben die insgesamt 727 Patienten in der COMPARE CRUSH-Studie die 60 mg-Prasugrel-Aufsättigungsdosis entweder ganz oder zerkleinert 22 Minuten nach dem medizinischem Erstkontakt vom Notfallpersonal erhalten, bis zur Koronarangiografie sind nochmals 57 Minuten vergangen.
… aber keine Wirkung auf den Koronarfluss
Genützt hat die verbesserte Pharmakodynamik durch das Zerkleinern der Tablette in Bezug auf die Koronardurchblutung und klinische Faktoren allerdings nichts: Ein TIMI-3-Fluss ließ sich bei 31,0% der Patienten mit gecrushter Darreichungsform zu Beginn der PCI festzustellen; hatten die Patienten die ganze Tablette bekommen, trat das als primärer Endpunkt festgelegte Therapieziel bei 32,7% der Patienten ein (Odds Ratio, OR: 0,92; p=0,64).
Eine vollständige Auflösung der ST-Streckenhebung (≥70%) stellte sich eine Stunde nach der PCI bei entsprechend 59,9% und 57,3% der Patienten ein (OR: 1,11; p=0,55). Schwere Blutungen und ischämische Ereignisse nach 30 Tagen unterschieden sich ebenfalls nicht zwischen beiden Gruppen, ebenso wenig die Stentthrombose-Rate und Mortalität (die prinzipiell sehr niedrig war).
Plättchenhemmung hat trotzdem nicht ausgereicht
Warum war das Ergebnis neutral, obwohl die Plättchenhemmung bei Zerteilen der Tablette stärker war? Vlachojannis und Kollegen vermuten, dass dies einfach nicht ausgereicht hat. Eine beträchtliche Anzahl der STEMI-Patienten hätte weiterhin eine hohe Plättchenaktivität zu Beginn der Koronarangiografie aufgewiesen, erläutern sie ihren Verdacht. Sprich, trotz Zerteilen der Tablette war der Wirkeintritt der Plättchenhemmer aufgrund der oralen Zufuhr offenbar nicht schnell genug.
Ihre Ergebnisse lassen sie die Autoren deshalb generell an den Sinn einer prähospitalen Gabe oraler Plättchenhemmer zweifeln, obwohl die aktuellen Leitlinien das empfehlen: „Es erscheint unwahrscheinlich, dass orale P2Y12-Inhibitoren dazu fähig sind, die Lücke bis zur Plättchenhemmung bei STEMI-Patienten, die eine primäre PCI erhalten, zu schließen“, argumentieren sie.
Alternativen zur oralen Gabe
Ob eine präshospitale Gabe von oralen P2Y12-inhibitoren bei STEMI-Patienten überhaupt Vorteile gegenüber einer stationären Verabreichung hat, wurde in der ATLANTIC-Studie untersucht. Das Ergebnis in Kürze: Die Stentthrombose-Rate war bei prähospitaler Gabe zwar niedriger, auf die Koronarperfusion hatte die Strategie aber keinen Einfluss.
Die niederländischen Kardiologen schlagen deshalb vor, nach alternativen Therapiestrategien zu suchen, die eine schnellere und stärkere Thrombozytenaggregation gewährleisten als die oral zugeführten P2Y12-Inhibitoren. Dafür infrage kommen beispielsweise Glykoprotein-IIb/IIIA-Rezeptorantagonisten oder parenteral verabreichte Plättchenhemmer.
In der vor wenigen Monaten publizierten FABOLUS FASTER-Studie hat sich der Glykoprotein-IIb/IIIA-Rezeptorantagonist Tirofiban unter pharmakologischen Aspekten als vorteilhaft herausgestellt. Wie sich dieser auf klinische Aspekte und Perfusionsparameter auswirkt, wurde allerdings nicht untersucht. Bei Glykoprotein-IIb/IIIA-Rezeptorantagonisten gibt es zudem Bedenken, dass sie das Risiko für Blutungskomplikationen erhöhen.
Literatur
Vlachojannis GJ et al. Effect of Pre-Hospital Crushed Prasugrel Tablets in Patients with STEMI Planned for Primary Percutaneous Coronary Intervention: The Randomized COMPARE CRUSH Trial. Circulation 2020;
vorgestellt in der Sitzung „Late-Breaking Clinical Science Session I” beim virtuellen Kongress TCT Connect 2020