Studie bestätigt: Von „vulnerablen“ Koronarplaques droht Gefahr!
Nicht-obstruktive Koronarläsionen, deren besondere Charakteristika ein hohes Risiko für künftige Koronarereignisse signalisieren, lassen sich mithilfe der intrakoronaren Bildgebung identifizieren, zeigt die PROSPECT-II-Studie.
Akute Koronarereignissen sind pathophysiologisch meist auf eine Ruptur atherosklerotischer lipidreicher Koronarläsionen mit konsekutiver Thrombosierung zurückzuführen. Nach Möglichkeiten der Detektion von rupturgefährdeten Hochrisiko-Plaques, die in der Regel angiografisch keine hochgradigen Stenosen bedingen, wird deshalb in der Forschung schon seit Längerem gesucht.
Eine Möglichkeit scheint jetzt in der beim virtuellen TCT-Kongress (TCT Connect 2020) vorgestellten PROSPECT-II-Studie gefunden worden zu sein. Ihre Ergebnisse zeigen, dass mit der Detektion von lipidreichen Plaques durch intrakoronare Bildgebung genau jene „vulnerablen“ Koronarläsionen identifiziert werden können, die in Beziehung zu späteren Koronarereignissen stehen.
Nahinfrarot-Spektroskopie zur Detektion genutzt
Als bildgebendes Verfahren ist in der Studie die Nahinfrarot-Spektroskopie (NIRS), kombiniert mit intravasalem Ultraschall (IVUS), genutzt worden. NIRS hat den Vorteil, dass sich damit die Plaque-Komponenten und dabei speziell die lipidreichen Plaqueanteile gut darstellen lassen. Da Lumengröße und Plaquevolumen durch NIRS nicht dargestellt werden, wird die Methode in Kombination mit IVUS angewandt.
PROSPECT II ist eine prospektive Multicenter-Studie, in die an 16 Zentren in Schweden, Dänemark und Norwegen insgesamt 902 Patienten mit akutem Koronarsyndrom (22,2% STEMI, 77,8% NSTEMI) und koronarer 3-Gefäß-Erkrankung aufgenommen worden sind. Ziel war, den Stellenwert der kombinierten NIRS/IVUS-Bildgebung in der Detektion von nicht-obstruktiven lipidreichen Plaques, die potenzieller Auslöser von künftigen Koronarereignissen sind, zu validieren.
Mehr als 3.600 „Non-culprit“-Läsionen wurden analysiert
Nach zunächst erfolgter Behandlung aller flusslimitierenden Koronarläsionen (culprit lesions) ist bei den Studienteilnehmern in allen drei Koronararterien die Plaque-Morphologie mithilfe eines speziellen NIRS/IVUS-Katheters untersucht worden. Auf diese Weise wurden bei 898 Patienten insgesamt 3.629 unbehandelte Plaques ohne Bezug zum Infarktereignis (non-culprit lesions, im Median vier Läsionen pro Patient) entdeckt und bezüglich ihres Lipidgehalts genauer charakterisiert. Davon erfüllten 24,3% das definierte Kriterium für eine sehr lipidreiche Hochrisiko-Plaque.
Primärer Endpunkt war die Rate an kardialen Ereignissen (MACE, major adverse cardiac events: kardialer Tod, Myokardinfarkt, instabile oder progrediente Angina pectoris). Im Zeitraum der Nachbeobachtung (im Median 3,7 Jahre) betrug die Gesamtrate für diese kardialen Ereignisse 14,4%. Davon waren die meisten Ereignisse mit einem Anteil von 8% auf unbehandelte „Non-culprit“-Läsionen zurückzuführen, während es sich in 4,6% um kardiale Rezidivereignisse mit Bezug zu bereits behandelten „Culprit“-Läsionen handelte.
Lipidreiche Plaques verdoppelten das Risiko
Bei Patienten mit dem relativ ausgeprägtesten „Lipidkernen“ in „Non-culprit“-Läsionen (oberste Quartile des maximum lipid core burden index) betrug die MACE-Rate 10,1%, im Vergleich zu 4,8% in der Gruppe mit weniger lipidreichen Plaques (Odds Ratio: 2,08; 95% Konfidenzintervall 1,18-3,69). Sehr lipidreiche Koronarläsionen verdoppelten demnach das Risiko für MACE-Ereignisse.
Auch wenn Hochrisiko-Plaques als nicht-obstruktive Läsionen mit einer hohen koronaren Plaquebelastung (IVUS plaque burden ≥ 70%) definiert wurden, war das MACE-Risiko höher als bei geringerer Plaquebelastung (11,0% vs. 3,6%, Odds Ratio: 3,09; 95% Konfidenzintervall 1,65-5,58). Ein ähnlicher Unterschied ergab sich, wenn nach dem Risikokriterium eine minimalen Lumenfläche von unter oder über 4 mm2 stratifiziert wurde (9,9% vs. 1,8%, Odds Ratio: 5,49; 95% Konfidenzintervall 1,97-15,28).
Wenn „Non-culprit“-Läsionen zwei definierte Charakteristika von Hochrisiko-Plaques aufwiesen (hohe Plaquebelastung und ausgeprägter Lipidkern), war das MACE-Risiko der Patienten im Vergleich zu allen anderen Patienten ebenfalls deutlich erhöht (7% vs. 0,2%, Odds Ratio: 11,33; 95% Konfidenzintervall 6,10-21,02).
NIRS/IVUS-Bildgebung erwies sich als sicher
Die intrakoronare NIRS/IVUS-Bildgebung zur Detektion „vulnerabler“ Plaques erwies sich als sicher: Nur bei zwei von 902 Patienten (0,2%) war es zu therapiebedürftigen Komplikationen gekommen.
Mit den in PROSPECT II mittels NIRS detektierten lipidreichen Plaques seien angiografisch nicht-obstruktive Koronarläsionen identifiziert worden, die für künftige Koronarereignisse von Bedeutung seien, schlussfolgerte Studienleiter Professor David Erlinge von der kardiologischen Abteilung der Universität Lund in Schweden. Ein hoher Lipidgehalt von Plaques, zusammen mit einer hohen Plaquebelastung und einer kleinen Lumenfläche, seien prognostische Indikatoren von „vulnerablen“ Plaques, die ein hohes Risiko der Patienten für kardiale Ereignisse anzeigen.
Sinnvoll wäre ein systematisches Screening auf bedrohliche Koronarplaques mittel NIRS/IVUS-Bildgebung aber nur, wenn sich daraus therapeutische Konsequenzen zur Senkung des erhöhten Risikos ergeben könnten. Wenn – wie in PROSPECT II der Fall – alle Patienten bereits medikamentös optimal behandelt werden, bliebe als derzeit rein theoretische Option noch die „präventive“ interventionelle Stent-Behandlung zur Entschärfung von rupturanfälligen Plaques.
Ob dieses katheterbasierte Konzept der Prophylaxe funktioniert, haben die PROSPECT-II-Autoren in einer in ihre Studie „eingebetteten“ Pilotstudie (PROSPECT ABSORB) untersucht. Auch sie ist als „Late-Breaking Clinical Trial“ beim virtuellen Kongress TCT Connect 2020 vorgestellt worden (hier der Bericht).
Die Grenzen einer NIRS/IVUS-gestützten Strategie der Detektion von bedrohlichen Koronarplaques liegen allerdings auf der Hand. Bei Patienten wie in PROSPECT-II, die wegen eines akuten Herzinfarktes notwendigerweise auf dem Kathetertisch landen, erscheint eine intrakoronare NIRS/IVUS-Messung ja noch als prinzipiell machbar.
Allerdings dürften auch viele Patienten mit stabiler KHK ohne Indikation für eine invasive Koronardiagnostik rupturgefährdete Läsionen aufweisen. Um bei ihnen „vulnerable“ Plaques aufzuspüren zu können, wären nicht-invasive Methoden der Detektion erforderlich.
Literatur
Vorgestellt in der Sitzung „Late-breaking clinical trials I” beim virtuellen Kongress TCT Connect 2020