Zerebraler Embolieschutz bei TAVI erfüllt nicht die Erwartungen
Das Ziel, mithilfe eines zerebralen Protektionssystems periprozedurale Schlaganfälle bei kathetergestützter Aortenklappen-Implantation insgesamt zu reduzieren, ist in der bisher größten randomisierten Studie verfehlt worden. Ein positives Ergebnis gab trotzdem.
Bei Transkatheter-Aortenklappen-Implantationen (TAVI) besteht die Gefahr, dass infolge der mechanischen Manipulation beim Einsetzen der neuen Klappenprothese Partikel wie Kalk-, Thrombus- oder Gewebefragmente freigesetzt werden, die möglicherweise ins Gehirn verschleppt werden und so zu Schlaganfällen führen.
Fakt ist, dass bei TAVI-Prozeduren anfallender Debris heute mithilfe spezieller Filtersystem, die temporär an den Abgängen hirnzuführender Arterien am Aortenbogen platziert werden, aufgefangen und geborgen werden kann. Die Frage, ob solche zerebralen Embolieschutzsysteme auch Schlaganfälle verhindern, ist dagegen noch nicht eindeutig geklärt. An deutschen Herzzentren sind solche Systeme einer 2021 veröffentlichten Studie zufolge bisher jedenfalls nur sehr zurückhaltend eingesetzt worden.
Kein Unterschied beim primären Endpunkt
Diese Praxis wird sich nach den jetzt bekannt gewordenen Ergebnissen der bislang größten randomisierten Studie zum klinischen Nutzen zerebraler Protektionssysteme möglicherweise auch nicht grundlegend ändern. Denn in der aktuell beim TCT-Kongress 2022 in Boston von Dr. Samir Kapadia, Cleveland Clinic, vorgestellten PROTECTED-TAVR-Studie ist es nicht gelungen, mithilfe des Doppelfiltersystems Sentinel (Boston Scientific) die Gesamtrate aller nach TAVI-Prozeduren aufgetretenen Schlaganfälle signifikant zu reduzieren. Nach Ansicht der Studienautoren geben die Daten gleichwohl Argumente dafür her, einen Einsatz dieses Filtersystems auch weiterhin grundsätzlich im Erwägung zu ziehen.
Das sind die wichtigsten Ergebnisse der PROTECT-TAVR-Studie:
- Die Inzidenz aller im Zeitraum von 72 Stunden nach TAVI (bzw. vor Klinikentlassung) aufgetretenen Schlaganfälle (primärer Studienendpunkt) in den Gruppen mit und ohne Einsatz des zerebralen Protektionssystems war mit 2,3% versus 2,9% nicht signifikant unterschiedlich (p=0,30).
- Bezüglich leichter Schlaganfälle ohne funktionelle Beeinträchtigungen unterschieden sich beide Gruppen ebenfalls nicht signifikant (1,7% versus 1,5%, p=0,67).
- Dagegen war die Rate an schweren und mit Behinderungen einhergehenden Schlaganfällen (sekundärer Endpunkt) in der Gruppe mit zerebralem Embolieschutz signifikant niedriger als in der Kontrollgruppe (0,5% versus 1,6%, p=0,02).
- Bezüglich weiterer Endpunkte wie Mortalität (0,5% versus 0,3%) oder akute Nierenschädigung (0,5% versus 0,5%) bestanden keine Unterschiede zwischen beiden Gruppen.
In den meisten Fällen (94,4%) konnte das Protektionssystem während der TAVI-Eingriffe erfolgreich im Aortenbogen platziert werden. Nur bei einem Patienten kam es im Bereich der Zugangsstelle für das System an der Radialisarterie zu vaskulären Problemen.
Argumente für und gegen zerebralen Embolieschutz
Sowohl Befürworter des zerebralen Embolieschutzes als auch skeptische Betrachter dieses Zusatzverfahrens bei TAVI-Prozeduren werden sich an den Daten der PROTECTED-TAVR-Studie argumentativ bedienen können.
Als Befürworter sieht sich Studienleiter Kapadia durch die PROTECTED-TAVR-Studie, die in seinen Augen angesichts der Reduktion von schweren Schlaganfällen nicht als negative Studie zu sehen sei, grundsätzlich bestätigt. Dies sei vor allem aus Sicht der Patienten ein zu berücksichtigendes positives Ergebnis.
Als „klinische Implikation“ zog Kapadia aus der Studie den Schluss, dass „ein zerebraler Embolieschutz mit dem Sentinel-Device für alle Patienten mit TAVI zur Reduktion schwerer Schlaganfälle in Betracht gezogen werden sollte“. Nach den PROTECTED-TAVR-Daten musste dieses Protektionssystem bei 125 Patienten mit TAVI zum Einsatz kommen, um einen schwerwiegenden Schlaganfall zu verhindern (Number Needed to Treat = 125).
Skeptiker können dagegen einwenden, dass PROTECTED-TAVR aus statistischer Sicht gar nicht dafür ausgelegt war, Unterschiede speziell bezüglich schwerer Schlaganfälle zuverlässig aufdecken zu können – was auch Kapadia nicht verhehlte. Die Autoren eines Editorials zur Publikation der Studie im „New England Journal of Medicine“ gelangen jedenfalls zu der ernüchternden Einschätzung, dass PROTECTED-TAVR der Hoffnung, TAVI-bezogenen Schlaganfällen mit dem Sentinel-System definitiv vorbeugen zu können, „einen schweren Schlag versetzt“ habe.
Zwar sei in der gezeigten Sicherheit des Protektionssystems und im möglichen Effekt auf schwere Schlaganfälle ein Hoffnungsschimmer zu erkennen. Doch blieben Bedenken bestehen, dass der zerebrale Embolieschutz „keinen klaren und unanfechtbaren klinischen Benefit bieten könnte“, so die Kommentatoren.
Subgruppenanalysen waren wenig hilfreich
In die PROTECTED-TAVR-Studie waren an 51 Zentren in Australien, Europa und Nordamerika insgesamt 3.000 Patientinnen und Patienten (mittleres Alter 79 Jahre; 40% Frauen) mit geplanter TAVI aufgenommen worden. Nach Zufallszuteilung waren die TAVI-Prozeduren je zur Hälfte mit und ohne zerebralen Embolieschutz durchgeführt worden.
Die Studienautoren hatten gehofft, auf der Basis von Subgruppenanalysen genauere Informationen darüber zu erhalten, bei welchen spezifischen Patientengruppen ein zerebraler Embolieschutz von Vorteil ist und bei welchen nicht. Wie Kapadia einräumte, hätten sich diese Analysen leider als wenig hilfreich für Empfehlungen zum selektiven Einsatz des Protektionssystems bei TAVI-Prozeduren erwiesen.
Weitere große Studie läuft noch
PROTECT-TAVR wird nicht die einzige randomisierte Studie zum Nutzen des zerebralen Embolieschutzes bleiben. Derzeit läuft noch die Studie BHF PROTECT-TAVI der British Heart Foundation, in der ebenfalls das Sentinel-Device geprüft wird. Knapp 8.000 Patientinnen und Patienten sollen in die Studie aufgenommen. Eine Metaanalyse gepoolter Daten der beiden Studien PROTECTED TAVR und BHF PROTECT-TAVI ist bereits geplant.
Literatur
Samir Kapadia: Cerebral Embolic Protection During Transvatheter Aortic Valve Replacement: The PROTECTED TAVR Studie. TCT-Kongress 2022, 16. – 19. September 2022, Boston
Kapadia S.R. et al. Cerebral Embolic Protection during Transcatheter Aortic-Valve Replacement. N Engl J Med. 2022, DOI: 10.1056/NEJMoa2204961
Carrol J.D. und Saver JL. Does Capturing Debris during TAVR Prevent Strokes? N Engl J Med. 2022, DOI: 10.1056/NEJMe2210185