Vorhofflimmern plus KHK: Biomarker-Score kann Blutungsrisiko abschätzen
Viele Vorhofflimmern-Patienten leiden an einer KHK. Ob man diese zusätzlich zur oralen Antikoagulation (OAK) mit einem Plättchenhemmer behandeln sollte, hängt u.a. vom Blutungsrisiko ab. Der auf Biomarker basierende ABC-Score könnte bei der Entscheidungsfindung helfen.
Wie riskant ist eine antithrombotische Kombinationstherapie bei Vorhofflimmern-Patienten? Mit dieser Frage sind Ärzte im Alltag ziemlich häufig konfrontiert. Denn 20% bis 30% der Vorhofflimmern-Patienten haben auch eine stabile KHK, benötigen also wegen des hohen thrombotischen Risikos neben einer oralen Antikoagulation ggf. eine Antiplättchentherapie.
Eine neue Analyse von Patientendaten der großen NOAK-Zulassungsstudien ARISTOTLE und RE-LY legt nun nahe, dass in solchen Fällen der sog. ABC-Score („Age, Biomarker, Clinical history“) bei der Einschätzung des Blutungsrisikos hilfreich sein könnte.
Score basiert auf Biomarker
Im Gegensatz zu dem rein aus klinischen Faktoren bestehenden HAS-BLED-Score basiert der ABC-Blutungsscore neben Alter und klinischer Vorgeschichte auf Biomarker-Werte, er besteht aus folgenden fünf Komponenten:
- Alter,
- hochsensitives Troponin,
- Growth Differentiation Factor 15 (GDF-15),
- Hämoglobin und
- zurückliegende Blutung.
Der ABC-Blutungsscore findet auch in den neuen Vorhofflimmern-Leitlinien der europäischen Kardiologie-Gesellschaft Erwähnung. Dieser hätte sich gegenüber klinischen Scores teilweise als überlegen erwiesen, heißt es darin, wobei er in einer anderen Studie auf lange Sicht keine Vorteile gegenüber den HAS-BLED gezeigt habe.
Hoher Score = hohes Blutungsrisiko bei ASS-Therapie
Fiel der ABC-Score bei den ARISTOTLE- und RE-LY-Patienten niedrig aus, waren die absoluten Blutungsraten im Studienverlauf gering, auch dann, wenn sie neben der OAK-Therapie noch ASS verordnet bekommen haben. Konkret in Zahlen bedeutet das: Wenn der Score bei Vorhofflimmern-Patienten ohne begleitende ASS-Therapie ein jährliches Blutungsrisiko von 0,5% anzeigt, steigt das Risiko mit ASS auf gerade mal 0,8%.
Bei Patienten mit hohem ABC-Score war das Blutungsrisiko wiederum deutlich höher, wenn sie zusätzlich ASS erhalten haben, im Vergleich zu denjenigen, die nur mit einer OAK behandelt wurden (Hazard Ratio, HR: 1,65; p˂ 0,001 in ARISTOTLE und HR: 1,70; p˂ 0,001 in RE-LY). Liegt das jährliche Blutungsrisiko beispielsweise bei 3,0% ohne ASS, würde es mit ASS auf 5,0% steigen.
In der Praxis nützlich, aber…
„Der ABC-Blutungsscore könnte ein nützliches Tools sein für die Entscheidungsfindung über die Intensität und Dauer einer kombinierten antithrombotischen Behandlung bei Patienten mit Vorhofflimmern und koronarer Herzerkrankung “, lautet das Fazit der Studienautoren um Prof. Ziad Hijazi von der Universitätsklinik in Uppsala.
Dass der Score im Alltag durchaus eine praktische „Stütze“ darstellen kann, der Meinung sind auch die beiden US-Kardiologen Dr. Celina Yong und Dr. John Bittl. „Solange die Ärzte erkennen, dass dieser Score per se keinen Nettobenefit bemisst und deshalb für sich alleine nicht verwendet werden kann“, stellen sie in einem begleitenden Editorial die Bedingungen klar.
…Score sollte nicht für sich alleine entscheiden
Für die Praxis empfehlen sie Ärzten deshalb, sich immer die Frage zu stellen: „Wie hoch ist das Risiko im Falle eines Absetzens von ASS für Patienten mit einem hohen ischämischen Risiko?“ Sprich, selbst wenn der ABC-Score ein hohes Blutungsrisiko signalisiert, kann eine zusätzliche Plättchenhemmer-Therapie sinnvoll sein, wenn der Nutzen einer kombinierten antithrombotischen Behandlung die Risiken überwiegt.
Wichtig für die Implementierung des Scores in die Praxis ist auch die Tatsache, dass die Patienten in ARISTOTLE und RE-LY bzgl. der Plättchenhemmertherapie vorselektiert waren: ASS wurde ihnen also nicht per Zufall verordnet, sondern die Ärzte haben sich bewusst dafür oder dagegen entschieden. In der ARISTOTLE- und in RE-LY-Studie erhielten letztlich gut 30% der Vorhofflimmern-Patienten zusätzlich zu der OAK-Therapie ASS. Die analysierte Gesamtkohorte umfasste 24.349 Vorhofflimmern-Patienten.
Wichtig ist immer die Risiko/Nutzen-Balance
Es sei somit unklar, ob der ABC-Score sich auch für andere Patienten ohne ein solches „Preassessment“ zur Risikostratifizierung eigne, heben Yong und Bittl als Limitierung hervor, Unsicherheit besteht hier z.B. für Patienten mit einem akuten Koronarsyndrom. In ARISTOTLE und RE-LY hatten nämlich weniger als 20% der Patienten den Plättchenhemmer wegen eines zurückliegenden Herzinfarktes verordnet bekommen. Was zudem noch fehlt, ist eine prospektive Evaluierung des Scores. Diese erfolgt laut Hijazi und Kollegen in der laufenden ABC-AF-Studie.
Am Ende müssen Ärzte also weiterhin zwischen ischämischen Risiko und Blutungsrisiko abwägen, der ABC-Blutungsscore kann dabei nur eine Orientierungshilfe bieten.
Literatur
Hijazi Z et al. Evaluation of the age, biomarkers, and clinical history-bleeding risk score in patients with atrial fibrillation with combined aspirin and anticoagulation therapy enrolled in the ARISTOTLE and RE-LY trials. JAMA Netw Open. 2020;3:e2015943. DOI:10.1001/jamanetworkopen.2020.15943
Yong CM, Bittl JA. Integrating the ABC-bleeding risk score into practice. JAMA Netw Open. 2020;3:e2016126. DOI:10.1001/jamanetworkopen.2020.16126