ICD-Ersatz heute: „Einmal ICD, immer ICD“ gilt nicht mehr!
Bei immer mehr Patienten mit implantiertem Defibrillator (ICD) steht wegen ablaufender Batterielebensdauer die Frage nach dem ICD-Ersatz an. Nach der simplen Formel „einmal ICD, immer ICD“ sollte in diesen Fällen nicht mehr entschieden werden, fordert ein deutscher Experte.
Rund ein Drittel aller Fälle, in denen über die Notwendigkeit eine ICD-Therapie entschieden werden muss, entfallen heute auf Patienten, bei denen viele Jahre nach ICD-Erstimplantation die Batterielaufzeit dem Ende entgegengeht. Geklärt werden muss dann, ob eine Device-basierte Herztod-Prophylaxe nach Aggregataustauch weiterhin indiziert erscheint oder nicht.
Darunter sind viele Patienten mit Herzinsuffizienz des HFrEF-Typs, bei denen ein ICD-Device zur Primärprophylaxe implantiert wurde. Die Leitlinien empfehlen eine solche Primärprophylaxe mit dem Ziel, den plötzlichen Herztod bei Patienten mit symptomatischer Herzinsuffizienz (NYHA-Klasse II-III) und einer LVEF ≤ 35% nach ≥ 3 Monaten optimaler pharmakologischer Therapie zu reduzieren.
ICD-Ersatz: Leitlinien bieten keine Hilfe
Wer allerdings bei der Entscheidung über ein ICD-„Replacement“ speziell bei dieser Patientengruppe in den Leitlinien Rat und Hilfe sucht, wird enttäuscht: Es findet sich dort nichts, konstatierte Professor Gerhard Hindricks vom Herzzentrum Leipzig bei der Sitzung „Update Rhythmologie“ der 87. Jahrestagung der DGK.
Hindricks, der selbst am Entwurf der 2015 publizierten ESC-Leitlinien zur Prävention des plötzlichen Herztodes maßgeblich beteiligt war, gab sich selbstkritisch: „Das haben wir nicht gut gemacht, dass wir uns dazu nicht positioniert haben“.
Diese Selbstkritik in Ehren – aber wie hätten sich die Verfasser der Leitlinien denn damals bezüglich ICD-Ersatz eigentlich positionieren sollen? Dafür wäre eine einigermaßen solide wissenschaftliche Basis in Form valider Studiendaten nötig gewesen. Doch die gab es weder im Vorfeld der 2015 veröffentlichten Leitlinien, noch gibt es sie heute.
„Trostlose Datenlage“
Die Datenlage sei völlig unzureichend und geradezu „trostlos“, so die Einschätzung von Hindricks – und zwar in doppelter Hinsicht: Zum einen gebe es noch immer so gut wie keine Studien, deren Ergebnisse hilfreiche Entscheidungskriterien in der Frage des ICD-Ersatzes an die Hand lieferten.
Zum anderen sei inzwischen auch die bisherige Indikationsstellung zur primärpräventiven Erstimplantation eines ICD bei Herzinsuffizienz kritisch zu hinterfragen. Denn die vor rund zwei Jahrzehnten durchgeführten randomisierten Studien wie MADIT-II, auf die sich die Leitlinien-Empfehlungen zur Primärprävention des plötzlichen Herztodes durch ICD-Implantation nach wie vor stützen, hätten mit der Realität der Medizin in heutiger Zeit nicht mehr viel zu tun, so Hindricks: „Die Lage hat sich grundlegend geändert“.
Infolge der unter anderem durch neue medikamentöse Therapien enorm verbesserten Herzinsuffizienz-Behandlung seien die Bedingungen für die ICD-Therapie – auch was den Aggregatersatz am Ende der Batterielaufzeit betrifft – heute ganz andere als vor 20 Jahren. Analysen von Daten aus großen Herzinsuffizienz-Studien der letzten Jahrzehnte zeigen einen linearen Trend zur Abnahme plötzlicher Herztode (Shen et al.: NEJM 2017). Deshalb brauche es neue und die heutige Realität besser abbildende Studien, um in Sachen ICD-Therapie wieder „sattelfester“ zu werden, so Hindricks.
„Das Problem wird sich mit immer größerer Intensität stellen“
Eine positive Konsequenz des therapeutischen Fortschritts bei Herzinsuffizienz ist auch, dass immer mehr Patienten mit ICD-Therapie den Zeitpunkt erreichen, an dem ein Aggregataustausch notwendig wird. „Das Problem wird sich mit immer größerer Intensität stellen“, prognostiziert Hindricks. Umso gravierender sei, dass es überhaupt keine randomisierten Studien gebe, die evidenzbasierte Entscheidungen ermöglichten. Die Klärung der „Sinnhaftigkeit des ICD-Ersatzes“ in entsprechenden Studien sei „eine Aufgabe, der wird uns unbedingt stellen müssen“.
In der Praxis werde mangels Studiendaten, die bei der Entscheidung hilfreich sein könnten, häufig einfach nach dem Prinzip „einmal ICD, immer ICD“ gehandelt. Ein solches Verhalten ignoriere allerdings wesentliche Gesichtspunkte der Risikostratifizierung, die heute bei der Entscheidung über einen Aggregatwechsel von großer Relevanz seien, betonte Hindricks. Wichtige Fragen seien etwa:
- Wie hat sich das individuelle Risiko des Patienten für den Herztod in den Jahren nach ICD-Erstimplantation verändert?
- Wie hat sich möglicherweise die verbesserte Herzinsuffizienz-Therapie ausgewirkt – etwa im Hinblick auf positive Veränderungen der Ejektionsfraktion als Indikationskriterium?
- Welche Bedeutung hat das Auftreten oder Nicht-Auftreten von adäquaten oder inadäquaten ICD-Schocks innerhalb der ersten ICD-Laufzeit für die Prognose der Patienten in der Zeit nach einem eventuellen Aggregatwechsel?
Hindricks betonte, dass auch das Alter der Patienten als Entscheidungsfaktor ins Gewicht falle. Rund ein Jahrzehnt nach ICD-Erstimplantation seien mit dem gestiegenen Lebensalter häufig auch mehr Komorbiditäten vorhanden – mit der Konsequenz, dass die nicht-kardiale Sterblichkeit zunimmt und der plötzliche, durch Arrhythmien verursachte Herztod relativ an Bedeutung verliert. Das habe Auswirkungen auf den zu erwartenden Nutzen einer ICD-Therapie.
Von der Risikostratifizierung zur personalisierten Indikationsstellung
Auch sei zu bedenken, dass das Risiko von Komplikationen bei einem Aggregataustausch höher ist als bei ICD-Erstimplantation. Und schließlich seien auch die Erwartungen und Präferenzen des Patienten bei der Entscheidung über eine Fortsetzung der ICD-Therapie zu berücksichtigen.
Hindricks Fazit: „Wir sind gefordert, die individuellen Risiken der Patienten wirklich zu beurteilen“. Je nach Risikobewertung sollte dann auch der Mut aufgebracht werden, im Sinne einer „personalisierten Indikationsstellung“ gegebenenfalls den üblichen Weg des „einmal ICD, immer ICD“ zu verlassen und sich gegen einen Aggregatwechsel zu entscheiden.
Literatur
G. Hindricks: „Primärprävention des plötzlichen Herztods: Einmal ICD, immer ICD – ist das noch zeitgemäß?“ Vortrag auf der Sitzung „Update Rhythmologie“ bei der 87. Jahrestagung der DGK.