Vorhofflimmern durch Drogenkonsum?
In einer großen Kohortenstudie war die Einnahme verschiedener Drogen mit dem Auftreten von Vorhofflimmern assoziiert. Wenngleich daraus nicht auf Kausalität geschlossen werden kann, sehen Experten Handlungsbedarf.
Die Einnahme von Methamphetaminen, Kokain, Opiaten und Cannabis könnte die Entstehung von Vorhofflimmern begünstigen. Jedenfalls zeigte sich ein solcher Zusammenhang in einer großen Kohortenstudie aus Kalifornien, und zwar nach Adjustierung auf andere übliche Risikofaktoren für die Entwicklung von Vorhofflimmern. Die Ergebnisse sind kürzlich im „European Heart Journal“ veröffentlicht worden.
Cannabis und Opiate in den USA stark verbreitet
Nach Ansicht der Studienautoren um Dr. Anthony Lin könnte diese Erkenntnis klinisch durchaus von Bedeutung sein, auch deshalb, weil der Konsum von Cannabis in Kalifornien 2018 legalisiert wurde, und damit die Prävalenz angestiegen ist. Geplant ist eine Legalisierung von Cannabis auch in Deutschland. Außerdem ist die missbräuchliche Einnahme von Opiaten in den USA stark verbreitet: Lin und Kollegen beziffern diese auf schätzungsweise 10 Millionen Menschen pro Jahr. Es sei deshalb höchst wichtig, die potenziell arrhythmogenen Risiken, die mit diesen Substanzen assoziiert seien, zu verstehen, erläutern Lin und Kollegen die Intention ihrer Studie.
Um entsprechende Zusammenhänge ausfindig zu machten, suchten die Mediziner in einer Datenbank des US-Bundesstaat Kaliforniens (Office of Statewide Health Planning and Development, OSHPD) nach erwachsenen Patienten und Patientinnen, die zwischen 2005 und 2015 in der Notaufnahme, in der ambulanten Chirurgiestation oder im Krankenhaus behandelt worden waren und bei denen der Konsum von Methamphetaminen, Kokain, Opiaten oder Cannabis dokumentiert worden war. Von über 25 Millionen in der Datenbank erfassten Patienten stellten sich 98.271 Personen als Methamphetamin-Konsumenten, 48.701 als Kokain-Konsumenten, 10.032 als Opiat- und 132.834 als Cannabis-Konsumenten heraus. Insgesamt 998.747 Patienten – das sind 4,2% der Gesamtpopulation – entwickelten während der Studienzeit Vorhofflimmern.
Um bis zu 86% erhöhtes Vorhofflimmern-Risiko
Vergleicht man nun die Drogenkonsumenten mit den nicht konsumierenden Personen, hatten Patienten, die Methamphetamine, Opiate, Kokain oder Cannabis zu sich genommen hatten, ein entsprechend 86%, 74%, 61% und 35% erhöhtes Vorhofflimmern-Risiko, und zwar nach Adjustierung auf potenzielle Störfaktoren und bekannte Risikofaktoren für die Entstehung von Vorhofflimmern (Hazard Ratio, HR: 1,86, 1,74, 1,61, 1,35). Die Wahrscheinlichkeit für das erstmalige Auftreten von Vorhofflimmern stieg für die Konsumenten im Vergleich zu den Nicht-Konsumenten im Verlauf der Jahre immer weiter an.
Um die Robustheit dieses Ergebnisses zu prüfen, untersuchten die Autoren potenzielle Zusammenhänge zwischen dem Drogenkonsum und der Entstehung von Erkrankungen, die unter biologischen Gesichtspunkten nicht mit einem Substanzmissbrauch in Verbindung gebracht werden z.B. Appendizitis oder Bindegewebserkrankungen (negative Kontrolle). Hier zeigten sich keine signifikanten Assoziationen.
Eine Kausalität lässt sich anhand dieser Beobachtungsstudie trotz der statistischen „Kniffe“ nicht ableiten. Der Einfluss von Störfaktoren ist nämlich nicht auszuschließen, so könnten Drogenkonsumenten auch aufgrund ihres generellen Lebensstils zu Rhythmusstörungen neigen. Außerdem konnte in der Studie keine Dosis-Wirkungs-Beziehung abgeleitet werden.
Potenzielle Mechanismen
Biologisch erscheinen die Ergebnisse laut Experten aber durchaus plausibel. Drogen beeinflussten das autonome Nervensystems, störten die Mikrozirkulation und erzeugten Ischämiezustände, erläutern Dr. Monika Gawałko und Prof. Prashanthan Sanders in einem begleitenden Editorial. Durch ein elektrisches und strukturelles Remodeling im Vorhof könnte dadurch Vorhofflimmern begünstigt werden, führen die Kardiologinnen/Kardiologen weiter aus. Wie die Kommentatoren zugeben, sind die exakten Mechanismen, wie die einzelnen Substanzen den Vorhofrhythmus beeinflussen, aber bisher nicht genau verstanden.
Risikofaktorenmanagement sollte Drogenkonsum berücksichtigen
Ebenso wenig gibt es offizielle Empfehlungen, wie man mit entsprechend gefährdeten Patienten optimalerweise umgehen sollte: Benötigen sie eine antithrombotische oder antiarrhythmische Prophylaxe, wie sollten unter Substanzmissbrauch entstehende Vorhofflimmern-Episoden behandelt werden? Über diese Fragen sollte den Experten zufolge in der medizinischen und wissenschaftlichen Community diskutiert werden. Außerdem sehen die beiden Mediziner trotz der Unsicherheiten Handlungsbedarf: „Angesichts der aktuellen Studienergebnisse sollte ein umfangreiches Risikofaktorenmanagement Interventionen beinhalten, die auf Drogenkonsum abzielen, um das Vorhofflimmern-Risiko zu reduzieren“, schreiben sie.
Literatur
Lin A et al. Cannabis, cocaine, methamphetamine, and opiates increase the risk of incident atrial fibrillation; Eur Heart J 2022; 00, 1–10; https://doi.org/10.1093/eurheartj/ehac558
Gawałko M, Sanders P. Drug abuse and risk of atrial fibrillation:
a neglected association; Eur Heart J 2022; 00, 1–3
https://doi.org/10.1093/eurheartj/ehac614