Nachrichten 17.11.2021

Gibt es bald einen neuen Gerinnungshemmer?

Die Gerinnungshemmung bleibt für Studien und neue Medikamente gut. In der randomisierten AXIOMATIC-TKR Studie war der orale Faktor XIa-Hemmer Milvexian in der Prophylaxe nach Kniegelenks-OP sehr effektiv und zeigte ein niedriges Blutungsrisiko.

Der Faktor XI ist ein neuer Ansatzpunkt für antikoagulatorisch wirksame Medikamente. Er ist stark beteiligt an der Thrombusbildung, hat aber nur eine vergleichsweise geringe Bedeutung für die Hämostase. Deswegen ist denkbar, dass Medikamente, die hier ansetzen, mit eher geringem Blutungsrisiko recht effektiv Thromboembolien verhindern.

Bei der virtuellen AHA-Tagung wurden jetzt die Ergebnisse der AXIOMATIC-TKR-Studie vorgestellt und zeitgleich im „New England Journal of Medicine“ veröffentlicht. Es handelte sich um eine randomisierte Dosisfindungsstudie, die den selektiven, oralen Faktor XIa-Inhibitor Milvexian in Dosierungen von 25 mg bis 200 mg einmal oder zweimal am Tag mit Enoxaparin 40 mg subkutan verglichen hat. 

Thromboseprophylaxe nach Knie-Operationen

Das klinische Szenario war das klassische Erstlinienszenario für neue gerinnungswirksame Medikamente, nämlich die Thromboembolieprophylaxe nach Kniegelenksoperation. Diese Indikation ist für solche ersten Studien deswegen besonders geeignet, weil sich tiefe Venenthrombosen am Knie besonders leicht identifizieren lassen.

An der siebenarmigen Studie, über die Studienleiter Dr. Jeffrey Weitz von der McMaster Universität in Kanada berichtete, nahmen 1.242 Patienten teil, bei denen jeweils 12 bis 24 Stunden nach Operation mit der Studienmedikation begonnen wurde. Eine Einzeldosis Enoxaparin war in allen Gruppen am Abend vor dem Eingriff erlaubt, wenn das in der jeweiligen Einrichtung standardmäßig so gehandhabt wurde.

Primärer Endpunkt der Studie waren venöse Thromboembolien, definiert als Komposit aus asymptomatischer tiefer Venenthrombose, symptomatischer venöser Thromboembolie und Tod jeglicher Ursache. Wichtigster Sicherheitsendpunkt waren Blutungen jeglicher Ursache. 

Auf Blutungsseite gab es mit einer Quote von 4% Blutungen jeglicher Ursache keinen Unterschied zwischen den Milvexian-Armen und dem Enoxaparin-Arm. Dabei habe es bei den Milvexian-Gruppen keine Dosisabhängigkeit des Blutungsrisikos gegeben, betonte Weitz beim AHA-Kongress. Schwere Blutungen traten bei 1% der Milvexian-Patienten und bei 2% der Enoxaparin-Patienten auf, schwere unerwünschte Ereignisse gab es bei 2% bzw. 4% der Patienten.

Hohe Dosierung ohne Anstieg des Blutungsrisikos

Dass es keine Dosisabhängigkeit beim Blutungsrisiko durch Milvexian zu geben scheint, ist insofern günstig, als dann relativ hoch dosiert werden kann, mit entsprechend ausgeprägtem antithrombotischem Effekt. Hier gab es dann auch in den Gruppen, in denen die Prüfsubstanz zweimal täglich appliziert wurde, einen klaren Dosiseffekt: Bei zweimal täglicher Gabe von 25 mg Milvexian kam es bei 21% der Patienten zu thromboembolischen Ereignissen gemäß Endpunktdefinition, bei zweimal 50 mg waren es 11%, bei zweimal 100 mg 9% und bei zweimal 200 mg 8%. In der Kontrollgruppe mit 40 mg Enoxaparin-Applikation pro Tag betrug die Quote 21%. Für die meisten Dosierungen war das ein statistisch signifikanter Vorteil gegenüber Enoxaparin.

„Rückenwind für Faktor XI-Hemmung“

Insgesamt liefere diese Phase-II-Studie den Beleg, dass Milvexian prinzipiell ein effektives antithrombotisches Medikament sei, so Weitz. Erfreulich sei neben der sehr guten Thromboembolieprophylaxe in den höheren Dosierungen insbesondere, dass es bei den schweren und klinisch relevanten Blutungen offenbar ein vergleichsweise geringes Risiko gebe, das zudem nicht dosisabhängig zu sein scheine. Die Faktor XI-Hemmung bekommt durch die AXIOMATIC-TKR-Studie in jedem Fall weiter Rückenwind, nachdem zuvor bereits auf Faktor XI zielende Antisense-Oligonukleotide und der Faktor XI-Antikörper Abelacimab Hinweise auf eine im Vergleich zu Enoxaparin bessere Thromboseprophylaxe nach Kniegelenks-OP geliefert hatten.

Orale Gabe als Vorteil

Vorteil von Milvexian ist vor allem, dass es, anders als Antisense-Oligonukleotide und Antikörper, oral gegeben werden kann. Es soll jetzt in den für die Antithrombotika-Entwicklung typischen Phase III-Studien bei unterschiedlichen prophylaktischen und ggf. therapeutischen Indikationen evaluiert werden. Ein endgültiges Dosisschema steht noch nicht fest, aber Weitz betonte, dass es mindestens 100 mg pro Tag sein sollten. Es läuft außerdem eine weitere Phase II-Studie, in der Milvexian in Kombination mit ASS und Clopidogrel in der Sekundärprävention nach Schlaganfall untersucht wird.

Literatur

Weitz J: Milvexian for Prevention of Venous Thromboembolism after Elective Knee Arthroplasty: The AXIOMATIC-TKR Study, Late Breaking Science Session 07; AHA Congress, 13.-15. November 2021

Weitz JI et al. Milvexian fort he Prevention of Venous Thromboembolism. N Engl J Med 2021; DOI: 10.1056/NEJMoa2113194

Neueste Kongressmeldungen

Welcher Faktor determiniert das Herzrisiko unter einer Statintherapie?

Bei Patienten, die bereits Statine zur Lipidsenkung erhalten, sind im CRP-Wert sich widerspiegelnde Entzündungsprozesse ein stärkerer Prädiktor für künftige kardiovaskuläre Ereignisse als das LDL-Cholesterin, zeigt eine umfangreiche Metaanalyse.

Hypertrophe Kardiomyopathie kein Argument gegen Sport

Wer an einer hypertrophen Kardiomyopathie leidet und regelmäßig Sport mit Belastungen über 6 MET betreibt, riskiert damit keine arrhythmischen Komplikationen, so das Ergebnis einer großen prospektiven Studie. Eine Voraussetzung muss jedoch erfüllt sein.

Herzinsuffizienz: Erinnerungstool fördert MRA-Verschreibung

In der BETTER-CARE-HF-Studie wurden zwei Systeme getestet, die Ärzte und Ärztinnen darüber benachrichtigen, welche ihrer Herzinsuffizienzpatienten für eine MRA-Therapie geeignet sind. Eines davon war besonders erfolgreich beim Erhöhen der Verschreibungsrate.

Neueste Kongresse

ACC-Kongress 2023

Der diesjährige Kongress der American College of Cardiology (ACC) fand vom 4.-6. März 2023 in New Orleans statt. In diesem Dossier finden Sie die wichtigsten Studien und Themen vom Kongress.

DGK.Herztage 2022

Vom 29.9.-1.10.2022 finden die DGK.Herztage in Bonn statt.

TCT-Kongress 2022

Hier finden Sie die Highlights der Transcatheter Cardiovascular Therapeutics (TCT) Conference 2022, der weltweit größten Fortbildungsveranstaltung für interventionelle Kardiologie. 

Highlights

Hätten Sie es erkannt?

Linker Hauptstamm in der CT-Angiographie eines 80-jährigen Patienten vor TAVI. Was fällt auf?

Myokarditis – eine tödliche Gefahr

In der vierten Ausgabe mit Prof. Andreas Zeiher geht es um die Myokarditis. Der Kardiologe spricht über Zusammenhänge mit SARS-CoV-2-Infektionen und COVID-19-Impfungen und darüber, welche Faktoren über die Prognose entscheiden.

Aktuelles und Neues aus der Kardiologie

Sind renoprotektive Therapien bei Herzinsuffizienz ohne protektiven Nutzen?

Vier bei Herzinsuffizienz empfohlene Wirkstoffklassen haben bei Patienten mit Typ-2-Diabetes renoprotektive Wirkung bewiesen. In Studien bei Herzinsuffizienz ist von günstigen renalen Effekten dieser Wirkstoffe dagegen nicht viel zu sehen. Ein Erklärungsversuch.

Stark erhöhtes Herzrisiko nach Infektionen

Schwere Infektionen erhöhen das kardiovaskuläre Risiko kurzfristig sehr deutlich, legen aktuelle Daten nahe. Ein nicht unbeträchtlicher Anteil an kardialen Komplikationen könnte demnach auf Infektionen zurückzuführen sein.

Vorhofflimmern: Früher Rhythmuserhalt rechnet sich

Dass eine frühe rhythmuserhaltende Therapie bei Vorhofflimmern klinisch von Vorteil ist, hat die EAST-AFNET-4-Studie gezeigt. Dass diese Therapie wohl auch wirtschaftlich ist, legt eine auf Daten der deutschen Teilnehmer der Studie gestützte Analyse ihrer Kosteneffektivität nahe.

Aus der Kardiothek

Hätten Sie es erkannt?

Linker Hauptstamm in der CT-Angiographie eines 80-jährigen Patienten vor TAVI. Was fällt auf?

Rhythmus-Battle: Vom EKG zur Therapie 2

Nicht immer sind EGK-Befunde eindeutig zu interpretieren, und nicht immer gibt es eine klare Therapieentscheidung. In diesem zweiten Rhythmus-Battle debattieren Prof. Lars Eckardt, Prof. Christian Meyer und PD Dr. Stefan Perings über ungewöhnliche EKG-Fälle aus der Praxis. Wie würden Sie entscheiden?

Kardiovaskuläre und ANS-Manifestationen von Covid-19 und Long-Covid

In der Akutphase und auch im weiteren Verlauf kann eine SARS-CoV-2-Infektion eine Herzbeteiligung verursachen. Prof. Thomas Klingenheben gibt einen Update über den aktuellen Wissenstand solcher Manifestationen, und erläutert, was hinter dem Syndrom „Long-COVID“ steckt.

ACC-Kongress 2023 in New Orleans/© pawel.gaul / Getty Images / iStock
DGK.Herztage 2022/© DGK
TCT-Kongress 2022/© mandritoiu / stock.adobe.com
Kardio-Quiz März 2023/© Stephan Achenbach, Medizinische Klinik 2, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
Podcast-Logo/© Springer Medizin Verlag GmbH (M)
Rhythmus-Battle 2023/© Portraits: privat
kardiologie @ home/© BNK | Kardiologie.org