Asymptomatische Aortenstenose: Ist früher Herzklappen-Ersatz von Vorteil?
Ist es klinisch von Nutzen, Patienten mit schwerer Aortenstenose, aber ohne Symptome selbst unter Belastung, frühzeitig einer Herzklappenersatz-Operation zu unterziehen? Eine neue Studie scheint eine solche Vorgehensweise zu stützen.
Viele Patienten tolerieren selbst schwere Aortenstenosen über längere Zeit erstaunlich gut, ohne dass Symptome verspürt werden. Ob in solchen Fällen eine frühzeitige Klappenersatz-Therapie oder Abwarten mit regelmäßiger Kontrolle („watchful waiting“) die bessere Vorgehensweise ist, ist derzeit unklar.
RECOVERY hat ein erstes Zeichen gesetzt
Viel Aufmerksamkeit erregte Anfang 2020 eine randomisierte Studie (RECOVERY), in der ein früher chirurgischer Aortenklappenersatz (AKE) im Vergleich zu einer „Watchful Waiting“-Strategie mit einer deutlich höheren Überlebensrate assoziiert war. Die Generalisierbarkeit dieses Studienergebnisses ist allerdings dadurch limitiert, dass das Studienkollektiv aus selektierten Patienten mit sehr schwerer Aortenklappenstenose (Klappenöffnungsfläche ≤ 0,75 cm2 und Spitzengeschwindigkeit des Aortenjets [Vmax] ≥4,5 m/s oder mittlerer transvalvulärer Gradient [dP mean] ≥ 50 mmHg) und guter linksventrikulärer Funktion (LVEF >50%) bestand, die ein relativ niedriges Operationsrisiko, wenige Komorbiditäten und mehrheitlich bikuspide Aortenklappen aufwiesen.
Mit AVATAR (Aortic Valve replAcemenT versus conservative treatment in Asymptomatic seveRe aortic stenosis) liegt nun eine weitere randomisierte kontrollierte Studie zur Frage der optimalen Vorgehensweise bei asymptomatischer Aortenstenose vor. Auch ihre aktuell beim AHA-Kongress 2021 präsentierten Ergebnisse lassen den frühen chirurgischen Aortenklappenersatz als die bessere Strategie erscheinen.
Ereignisrate nach Operation nur halb so hoch
Primärer Endpunkt der Studie war eine Kombination aus Gesamtmortalität und kardiovaskulären Ereignissen (Herzinfarkt, Schlaganfall, ungeplante Hospitalisierungen wegen Herzinsuffizienz). Das sind die wesentlichen Ergebnisse:
- Die Rate für unter den primären Endpunkt fallende Ereignisse war in der Gruppe mit frühem chirurgischem AKE im Follow-up-Zeitraum (im Median 32 Monate) signifikant niedriger als in der Gruppe mit konservativer Strategie (16,6% vs. 32,9%, entsprechend 13 vs. 26 Ereignissen; Hazard Ratio [HR]: 0,46, 95% Konfidenzintervall [KI]: 0,23-0,90, p=0,02).
- Treiber dieses Unterschieds beim primären Endpunkt war eine geringere Zahl von Todesfällen (9 vs. 16) und von ungeplanten Klinikeinweisungen wegen Herzinsuffizienz (1 vs. 7).
- Auch bei ausschließlicher Berücksichtigung der Ereignisse Tod und Herzinsuffizienz-Hospitalisierung ergab sich eine signifikant niedrigere Inzidenz bei Patienten mit früher Aortenklappen-OP (HR: 0,40, 95% KI: 0,19-0,84, p=0,013).
- Ein Patient in der Gruppe mit früher Operation starb innerhalb eines Monats nach dem Eingriff (operative Mortalität: 1,4%).
Für AVATAR waren zwischen Juni 2015 und September 2020 an neun Zentren in sieben europäischen Ländern 157 Patienten mit schwerer und zumeist degenerativ bedingter Aortenklappenstenose (Klappenöffnungsfläche ≤1 cm2, Vmax >4 m/s oder mittlerer transvalvulärer Gradient ≥ 40mmHg). Anders als in RECOVERY war ein negativer Belastungstest obligate Voraussetzung für eine Studienteilnahme. Von den aufgenommenen Teilnehmern, die alle eine weitgehend normale linksventrikuläre Funktion (LVEF >50%) aufweisen mussten, waren 78 einem frühen chirurgischen AKE und 79 einer konservativen Strategie zugeteilt worden.
„Ergebnisse stützen Strategie einer frühen Operation“
Von den ursprünglich der Gruppe mit „Watchful Waiting“-Strategie zugeteilten Patienten waren im Studienverlauf 25 ebenfalls einem chirurgischen Aortenklappenersatz zugeführt worden. Gründe dafür waren etwa aufgetretene Symptome, eine Progression der Aortenstenose oder ein LVEF-Abfall unter 50%.
„Die Ergebnisse der Studie stützten die Strategie einer frühen Operation, sobald eine Aortenstenose bedeutsam geworden ist – unabhängig von der Symptomatik“, so Studienleiter Dr. Marko Banovic von der Universität Belgrad, der die AVATAR-Studie beim AHA-Kongress vorgestellt hat.
Werden also Ärzte aufgrund dieser Studie künftig bereitwilliger asymptomatische Patienten in die Herzchirurgie für einen operativen Aortenklappenersatz mit Brustkorberöffnung überweisen? Noch ist die Evidenzbasis für deren prognostischen Nutzen relativ schmal: Obwohl AVATAR (n=157) etwas größer ist als RECOVERY (n=145), sind beide Studien relativ klein. Gleichwohl deuten ihre Ergebnisse in die gleiche Richtung.
Warten auf die einschlägigen TAVI-Studien
Dass die Evidenzbasis durch weitere randomisierte Studien speziell zum Nutzen einer herzchirurgischen Intervention bei asymptomatischer Aortenstenose noch wesentlich verbessert wird, ist kaum zu erwarten. Wahrscheinlicher ist da schon, dass die entscheidenden Impulse dafür, eine frühe Intervention bei asymptomatischen Patienten künftig in der Praxis stärker in Betracht zu ziehen, aus derzeit laufenden Studien zum Nutzen einer Transkatheter-Aortenklappen-Implantation (TAVI) kommen werden – sofern deren Ergebnisse das hergeben. Bei den Patienten als Mitentscheider über die Behandlung dürfte diese weniger eingreifende Therapiemethode auf jeden Fall mehr Anklang finden.
Eine der derzeit laufenden TAVI-Studien bei asymptomatischen Patienten mit schwerer Aortenklappenstenose ist beispielsweise EARLY-TAVR. Dafür ist die Aufnahme von 900 Patienten geplant, die alle zuvor mit einem negativen Belastungstest ihren asymptomatischen Status bezeugt haben müssen. Patienten mit positivem Test sollen in ein paralleles Register eingebunden werden. Mit Ergebnissen wird für 2024 gerechnet.
Das empfehlen die aktuellen Leitlinien
Nach den jüngst aktualisierten europäischen ESC/EACTS-Leitlinien zu Herzklappenerkrankungen sollte eine Intervention bei asymptomatischen Patienten mit einer LVEF > 55% und einem normalen Belastungstest in Betracht gezogen werden (IIa-Empfehlung/Level C), wenn das Interventionsrisiko niedrig ist und einer der folgenden Befunde vorliegt: sehr schwere Aortenklappenstenose (dP mean ≥ 60 mmHg oder Vmax ≥ 5 m/s), schwere Klappenverkalkung (idealerweise durch kardiale Computertomographie beurteilt) und Vmax-Progression ≥ 0,3 m/s/Jahr, deutlich erhöhte BNP-Werte (> 3-mal so hoch wie der alters- und geschlechtskorrigierte Normalbereich), die durch wiederholte Messungen bestätigt wurden und für die es keine andere Erklärung gibt. Ob die „Intervention“ chirurgischer oder kathetergeführter Natur sein sollte, wird dabei nicht näher spezifiziert. Darüber sollte im „Herzteam“ entschieden werden.
Literatur
Banovic M: Aortic Valve Replacement versus Watchful Waiting in Asymptomatic Severe Aortic Stenosis: The Avatar Trial, Late Breaking Science Session 01, AHA Congress, 13. – 15. November 2021
Banovic M. et al.: Aortic Valve ReplAcemenT versus Conservative Treatment in Asymptomatic SeveRe Aortic Stenosis: The AVATAR Trial. Circulation 2021, online 13. November