Strahlenbelastung bei Herzeingriffen – wenn das Krankenhaus zum Risikofaktor wird
Wie viel Röntgenstrahlung bei perkutanen Interventionen appliziert werden muss, hängt vom Patienten ab, aber nicht nur: Ein US-Studie zeigt jetzt, dass die Strahlendosis wesentlich dadurch beeinflusst wird, wo die Intervention stattfindet.
Die jetzt in JACC: Cardiovascular Interventions publizierte Auswertung bezieht sich auf ein landesweites Register im US-Bundesstaat Michigan. Zwischen Juli 2016 und März 2018 wurde bei insgesamt gut 36.000 perkutanen Koronarinterventionen (PCI) in 28 Krankenhäusern die Strahlendosis ausgewertet, quantifiziert als „Air Kerma“ (AK), das im radiologischen Umfeld ein ungefähres Maß für die vom Patienten absorbierte Energiedosis ist.
Gemessen wird das AK als Strahlenenergie in der Luft an einem Referenzpunkt 15cm vom Isozentrum der Bestrahlung entfernt. Es gilt als prädiktiv für strahlungsinduzierte Hautschäden.
Mittele Strahlenbelastung lag bei 1,45 Gy
Die Ergebnisse der Datenbankabfrage zeigen, dass das AK stark variiert. Im Mittel lag es bei 1,45 Gy, wobei die Kardiologen bei zwei Dritteln aller Prozeduren unter 2 Gy blieben. Weitere 29% der Prozeduren benötigen zwischen 2 Gy und 5 Gy. Gut 4% der Prozeduren lagen bei 5 Gy oder darüber, und bei immerhin jeder zweihundertsten Prozedur landeten die Ärzte bei über 10 Gy, bei jeder dreihundertsten sogar über 15 Gy.
Strahlenbelastung variierte stark je nach Klinik
Dabei gab es einige Einrichtungen, die die Grenze von 5 Gy so gut wie nie überschritten und andere, bei denen das bei jedem zehnten Patienten der Fall war. Dies stand nicht im Zusammenhang mit der Gesamtzahl der Interventionen. High-Volume-Zentren fanden sich sowohl bei den Einrichtungen mit sehr hohen als auch bei den Einrichtungen mit sehr niedrigen Strahlendosen. Die Grenze von 5 Gy ist deswegen eine kritische Grenze, weil ab dieser Strahlendosis das Risiko für strahleninduzierte Hautschäden stark ansteigt.
Krankenhaus stellte sich als unabhängiger Prädiktor heraus
Die Autoren der Publikation haben in einer multivariaten Analyse versucht abzuschätzen, welche Faktoren die applizierte Strahlendosis prädeterminieren. Erwartungsgemäß identifizierten sie dabei eine Reihe von Patientenfaktoren, insbesondere höherer Body-Mass-Index, aber auch Begleiterkrankungen wie Diabetes und Dyslipidämie. Nicht überraschend benötigten außerdem Patienten mit mechanischer Kreislaufunterstützung höhere Strahlendosen.
Es blieb aber dabei, dass auch nach statistischer Bereinigung das Krankenhaus ein starker Prädiktor für die applizierte Strahlendosis blieb, und zwar stärker als die Patientenfaktoren und ähnlich stark wie die mechanische Kreislaufunterstützung.
Ein Weckruf
Vor dem Hintergrund dieser Daten kritisieren Prof. John Lopez und Prof, Amir Darki von der Loyola University in Maryland, Illinois, dass nur etwa zehn Prozent aller Studien zu PCIs bei Patienten mit chronischen Gefäßverschlüssen (CTO) überhaupt über kutane Strahlenschäden als eine unerwünschte Folge der PCI berichten. Bei randomisierten Studien sei die Quote eher noch schlechter. So habe kürzlich eine Analyse von 204 randomisierten, interventionell-kardiologischen Studien gezeigt, dass nur 4% dieser Studien Strahlenschäden der Haut überhaupt erwähnten. Vor diesem Hintergrund sei auch die geschilderte Variabilität nicht überraschend, denn Strahlenschäden bei PCI würden schlicht nicht als Problem wahrgenommen.
Einschränkend weisen Kommentatoren und Autoren darauf hin, dass die Datenbasis der Auswertung in Michigan nicht optimal gewesen sei. So wurde bei einem relevanten Anteil der Prozeduren gar keine AK-Dosis berichtet. Und die Daten ließen auch keine Unterscheidung nach SYNTAX-Score oder Art der Intervention, insbesondere CTO-Intervention, zu.
Strahlendosis transparenter machen
Ebenfalls keine Aussagen erlaubt die Registerstudie dazu, wie stark unterschiedliche Strahlendosierungen von einzelnen Kardiologen abhängen. Insgesamt müsse die Analyse aber als ein Weckruf dahingehend verstanden werden, Qualitätsstandards im Bereich Strahlensicherung konsequenter umzusetzen. Die Kommentatoren plädieren allerdings dagegen, durchschnittliche Strahlendosen pro Institution öffentlich transparent zu machen.
Literatur
Madder RD et al. Institutional Variability in Patient Radiation Doses ≥ 5 Gy During Percutaneous Coronary Intervention. JACC Cardiovasc Interv 2020; doi: 10.1016/j.jcin.2019.11.032
Lopez JJ, Darki A. Radiation Dose Variability Across Institutions – a Wake-Up Call for Interventional Cardiology? JACC Cardiovasc Interv 2020; doi: 10.1016/j.jcin.2019.12.037