Antikoagulation bei COVID-19: Steigen die Überlebenschancen mit höheren Dosen?
Eine SARS-CoV-2-Infektion erhöht das Thromboserisiko. Einige Experten sprechen sich deshalb für eine therapeutische Antikoagulation aus. Doch die scheint einer aktuellen Studie zufolge nicht die erhoffte Wirkung zu erzielen.
Eine retrospektive, US-amerikanische Studie mit hospitalisierten COVID-19-Patienten liefert Hinweise auf eine höhere Mortalitätsrate nach präventiver Antikoagulation mit therapeutischer Dosis im Vergleich zur prophylaktischen Standarddosierung.
Studienlage ist widersprüchlich
Die Ergebnisse stehen im Widerspruch zu einer größeren Beobachtungsstudie, die einen Überlebensvorteil bei therapeutischer Antikoagulation nahelegte. Eine weitere Studie hatte keine signifikanten Auswirkungen von Antikoagulanzien auf die Mortalität ergeben, jedoch war deren Einsatz mit kürzeren Krankenhausaufenthalten sowie besseren Überlebenschancen von beatmeten Patienten assoziiert.
In die aktuelle Studie, die bisher nur als Preprint-Version veröffentlicht wurde, flossen Daten von mehr als 370 COVID-19-Patienten ein. Sie stammten aus den Abrechnungssystemen und Krankenakten zweier Krankenhäuser in Connecticut. Das Durchschnittsalter der Patienten lag bei 65 Jahren, 59% waren Männer. Ein Drittel waren Raucher, 57% hatten Herzerkrankungen und 32% Diabetes.
Die Patienten erhielten im Krankenhaus entweder das niedermolekulare Heparin Enoxaparin (94%) oder ein anderes Heparin (15%).
Als prophylaktische Antikoagulation mit Enoxaparin wurde eine täglich subkutan verabreichte Dosis von 30 oder 40 mg definiert. Als therapeutische Dosis festgelegt wurde, wenn Enoxaparin in einer Dosis von zweimal täglich 1 mg/kg Körpergewicht subkutan oder täglich 1,5 mg/kg Körpergewicht verabreicht wurde (in Abhängigkeit von der Nierenfunktion). Höhere Dosen auftitriert bis zu einer Anti-Faktor-Xa-Aktivität von 0,6 bis 1 IU/ml (zweimal täglich) oder 1 bis 2 IU/ml (täglich) wurden ebenfalls als therapeutische Antikoagulation gezählt.
Als prophylaktische Dosis von Heparin galt 5.000 Einheiten subkutan alle 8 Stunden verabreicht. Therapeutisch war die Dosis, wenn Heparin intravenös in einer Dosis auftitriert bis zu einer partiellen Thromboplastinzeit zwischen 70 und 110 Sekunden verabreicht wurde.
Bei schwerkranken Patienten gab es keinen Unterschied
Dr. Jishu Motta vom Danbury Hospital in Connecticut und Kollegen beobachteten eine 2,3-mal höhere Mortalitätsrate bei Patienten, die präventiv eine niedrigere Antikoagulations-Dosis erhielten, verglichen mit denen, die prophylaktisch behandelt wurden: mit rund 39 vs. 14 Todesfällen pro 100 Patienten (p = 0,04).
Bei Personen mit erhöhten Konzentrationen von C-reaktiven Protein (≥ 200 mg/l) konnten sie diesen Unterschied jedoch nicht feststellen. Die meisten Patienten in dieser Untersuchung verstarben an einer Verschlechterung der Sauerstoffversorgung (72%) und eines akuten Atemversagens mit Hypoxie.
Ein möglicher Grund für die widersprüchlichen Ergebnisse in den verschiedenen Studien sei, dass eine stärkere Thromboseprävention zwar wirksam gegen thromboembolische Prozesse sei, aber gegen das Sterberisiko, welches mit anderen COVID-19-bedingter Krankheitsprozesse einhergeht, nichts ausrichten könne, vermuten Motta und Kollegen. Ihrer Analyse zufolge lasse sich das Fortschreiten der Erkrankung mit einer therapeutischen Antikoagulation somit nicht verhindern, fügen sie hinzu.
Für praktische Schlüsse ist es noch zu früh
Limitationen der Studie waren das retrospektive Design, fehlende Randomisierung und fehlende Dokumentation der Todesfälle nach Verlassen des Krankenhauses. Und da es sich – wie oben erwähnt – nur um eine Preprint-Version handelt, die somit noch keinem Peer Review-Prozess unterzogen wurde, ist große Vorsicht bei der Interpretation der Daten angebracht.
Die Studie lässt deshalb noch keine praktischen Schlüsse zu, dafür sind Studien notwendig, in denen die Wirksamkeit beider Strategien randomisiert miteinander verglichen wird.
Literatur
Motta J et al. Clinical Outcomes With the Use of Prophylactic Versus Therapeutic Anticoagulation in COVID-19. medRxiv 2020; https://doi.org/10.1101 / 2020.07.20.20147769