Warum ist die COVID-19-Symptomatik so extrem unterschiedlich?
Viele mit SARS-CoV-2 infizierte Menschen zeigen fast keine Symptome, andere wiederum erkranken sehr schwer. Wie lässt ich diese extreme klinische Varianz erklären? Womöglich durch die Gene.
Nicht selten bleibt eine SARS-CoV-2-Infektion symptomlos, andere Infizierte wiederum müssen intensivmedizinisch behandelt werden. Klar ist, dass Grunderkrankungen einen schweren Verlauf begünstigen können. Aber das allein, so vermuten Wissenschaftler, kann die extreme klinische Variabilität der Infektion wahrscheinlich nicht erklären.
Ursache in den Genen gesucht
Ein Forscherteam um Prof. David Ellinghaus aus Kiel hat deshalb nach genetischen Unterschieden gesucht, die mit schweren COVID-19-Verläufen einhergehen, sie wollten also herausfinden, ob gewisse Menschen per se anfälliger für schwere SARS-CoV-2-Infektionen sein könnten.
Dafür nahmen die Wissenschaftler eine genomweite Assoziationsanalyse bei 1.610 Patienten aus Spanien und Italien vor, die schwer an COVID-19 erkrankt waren und intensivmedizinisch behandelt werden mussten. Anhand von Blutproben verglichen sie deren Gen-Allele mit denen 2.205 gesunder Menschen.
Dabei fanden die Forscher Auffälligkeiten in zwei Gen-Clustern, die sich von den gesunder Probanden deutlich unterschieden: 3p21.31 auf Chromosom 3 und 9q34.2 auf Chromosom 9, welches die AB0-Merkmale bestimmt. Die identifizierten Allele waren signifikant mit einem höheren Risiko für COVID-19-bedingtes Atemversagen assoziiert (Odds Ratio: 1,77 bzw. 1,32).
Zwei Gen-Cluster stachen heraus
Im Genlokus 3.p21.31 liegen die Gene SLC6A20, LZTFL1, CCR9, FYCO1, CXCR6 und XCR1. Von diesen wiederum vermuten die Wissenschaftler, dass sie auf den Infektionsverlauf Einfluss nehmen könnten. So kodiert SCL6A20 für den SIT1-Transporter (sodium–imino acid [proline] transporter 1), welcher mit dem ACE2-Rezeptor interagiert, also mit dem Rezeptor, über den das Virus in die Zell eintritt. CCR9 und CXCR6 sind Gene für Chemokin-Rezeptoren, die wiederum eine wichtige Rolle in der Immunabwehr spielen.
Ellinghaus und Kollegen gehen deshalb davon aus, dass die bei schwer erkrankten COVID-19-Patienten zu findenden „Risikoallele“ den Infektionsverlauf beeinflussen könnten. Eine kausale Beteiligung könne aus diesen Daten aber nicht abgeleitet werden, betonen die Wissenschaftler.
Blutgruppe A mit höherem Risiko assoziiert
Die zweite genetische Auffälligkeit betrifft den AB0-Genlokus, der die Blutgruppenzugehörigkeit steuert. Dort stieß das Forscherteam auf drei „Single Nucleotide Polymorphismen“ (SNP), die bei COVID-19-Patienten mit Atemversagen im Vergleich zu den Kontrollpersonen herausstachen.
Blutgruppe A war dabei mit einem 45% höheren Risiko assoziiert im Vergleich zu anderen Blutgruppen. Blutgruppe 0 dagegen bot einen gewissen Schutz mit einem 35% relativ geringerem Risiko für ein respiratorisches Versagen.
Ähnliche Assoziationen haben auch andere Studien ergeben, in denen Menschen mit der Blutgruppe 0 ebenfalls weniger gefährdet für einen schweren COVID-19-Verlauf waren. Die aktuellen Daten bestätigen somit einen potenziellen Einfluss des AB0-Blutgruppensystems auf den Infektionsverlauf, bekräftigen die Wissenschaftler.
Wie lässt sich dieser Zusammenhang erklären?
Ob dieser Zusammenhang allerdings kausal ist, wissen Ellinghaus und Kollegen nicht. Der zugrunde liegende biologische Mechanismus habe womöglich etwas mit der AB0-Blutgruppe per se zu tun, beispielsweise könnten die bei Blutgruppe 0 gebildeten neutralisierenden Anti A- und Anti-B-Antikörper den Viruseintritt blockieren, lautet eine Erklärung der Wissenschaftler. Genauso möglich ist es ihrer Ansicht nach aber, dass indirekte Mechanismen, die mit der Blutgruppenzugehörigkeit bzw. den entsprechenden Allelen in Verbindung stehen, den Risikoanstieg bedingen, z.B. durch die Konzentration des Willebrand-Faktors, die durch die Blutgruppe beeinflusst wird. So gibt es beispielsweise auch Hinweise, dass die Blutgruppe auf das Thrombose-Risiko Einfluss nimmt.
Adjustiert wurde in der Analyse im Übrigen nur auf Alter und Geschlecht, nicht aber auf zugrunde liegende Erkrankungen oder metabolische Faktoren. Und in einer anderen Studie hat sich kein Zusammenhang zwischen AB0-Blutgruppe und dem COVID-19-Verlauf gezeigt. Es ist also Vorsicht angebracht bei der Interpretation dieser Daten.
Literatur
Ellinghaus E et al. Genomewide Association Study of Severe Covid-19 with Respiratory Failure. N Engl J Med 2020; DOI: 10.1056/NEJMoa2020283