Schwere Aortenstenose: Sollten die Kriterien angepasst werden?
Die diagnostischen Kriterien für eine schwere Aortenklappenstenose sind dieselben für Frauen wie Männern. US-Kardiologen schlagen nun auf Basis neuester Daten vor, diese an das Geschlecht anzupassen.
Für Frauen sollten andere diagnostische Kriterien für eine schwere Aortenstenose herangezogen werden als für Männer, das konstatieren Kardiologen von der Mayo Clinic in Rochester angesichts ihrer neusten Daten. Dr. Saki Ito und Kollegen haben untersucht, ob sich hämodynamische, strukturelle und funktionelle Charakteristika einer Aortenstenose bei Frauen anders verhalten als bei Männern. Und das scheint ihren Ergebnissen zufolge tatsächlich der Fall zu sein.
Aktuelle Kriterien gelten unabhängig vom Geschlecht
Derzeit wird eine schwere Aortenstenose unabhängig vom Geschlecht durch eine Klappenöffnungsfläche (KÖF) ≤ 1 cm² definiert. Im Falle einer KÖF von ≤ 1 cm² und einem mittleren systolischen Druckgradienten von ≥ 40 mmHg und/oder einer max. Flussgeschwindigkeit von ≥ 4,0 m/s liegt eine schwere High-Gradient-Aortenstenose vor. Liegen Gradient und max. Flussgeschwindigkeit unter diesen Grenzwerten und die KÖF ≤ 1 cm², wird dies als schwere Low-Gradient-Aortenstenose klassifiziert. Das gilt für Männer und Frauen gleichermaßen.
Ito und sein Team haben nun echokardiografische Befunde aus ihrer Klinik von 927 Patientinnen und Patienten mit diagnostizierter schwerer Aortenstenose (definiert als KÖF ≤ 1 cm²) retrospektiv analysiert und in diesem Zuge nach geschlechterspezifischen Unterschieden gesucht.
Dabei stellten sie fest, dass die Frauen (42% der Gesamtpopulation) bedingt durch ihre geringere Körpergröße durchweg eine niedrigere KÖF, aber auch eine geringere indexierte KÖF (KÖFi) sowie niedrigere max. Flussgeschwindigkeiten und Druckgradienten aufwiesen als die Männer. Ebenso hatten Frauen ein geringeres Schlagvolumen als Männer, selbst wenn dieses auf die Körperoberfläche indexiert war.
Ist eine schwere Aortenstenose bei Frauen wirklich schwer?
Was heißt das nun für die Diagnostik? Zieht man eine KÖF von ≤ 1 cm² als Kriterium für eine schwere Aortenstenose für beide Geschlechter heran, könnten Frauen angesichts ihrer intrinsisch bereits geringeren KÖF häufiger in diese Kategorie fallen. Hier stellt sich nun die Frage, ob die Aortenstenose in Fallen tatsächlich schon „schwer“ ist.
Wie die Autoren weiter ausführen, weisen Frauen auch durchweg niedrigere Druckgradienten auf als Männer. Deshalb seien schwere Low-Gradient-Aortenstenosen, nicht unerwartet, häufiger bei Frauen diagnostiziert worden, erörtern sie. „Es ist möglich, dass eine schwere Low-Gradient-Aortenstenose bei der Mehrheit der weiblichen Patienten mit einer KÖF ≤ 1 cm tatsächlich ‚weniger als eine schwere Aortenstenose‘ ist“, geben Ito und Kollegen zu bedenken. Dafür spricht ihrer Ansicht nach auch der Umstand, dass unter den Patienten mit schwerer Low-Gradient-Aortenstenose die Frauen eine höhere KÖFi, eine höhere linksventrikuläre Ejektionsfraktion (LVEF) und öfter einen normalen Fluss (Schlagvolumenindex, SVI ≥ 35 ml/m²) aufwiesen als die Männer.
Gibt es alternative Kriterien?
Doch welche Kriterien sollte man stattdessen heranziehen? Den Autoren zufolge könnten auf die Körperoberfläche indexierte Parameter wie die KÖFi die bessere Wahl darstellen, um eine schwere Aortenstenose zu definieren. So waren die Unterschiede zwischen Frauen und Männer in der aktuellen Studie weniger ausgeprägt, wenn statt einer KÖF von ≤ 1 cm² eine KÖFi von ≤ 0,6 cm²/m² als Kriterium für eine schwere Aortenstenose herangezogen wurde. Doch dieser Parameter könnte wiederum den Nachteil haben, dass damit generell mehr Patienten mit noch moderat ausgeprägter Stenosierung in die Kategorie „schwere Aortenstenose“ fallen.
Das zeigte sich auch in der aktuellen Studie: Bei den Patientinnen und Patienten mit einer KÖFi von ≤ 0,6 cm²/m² lagen Flussgeschwindigkeit und Druckgradient häufiger noch im moderaten Bereich. „Weitere Studien sind notwendig, um zu untersuchen, wie die KÖFi in der klinischen Praxis angewendet werden und wie man Patienten, die von einem Aortenklappenersatz profitieren, am besten identifizieren kann“, machen Ito und Kollegen deutlich.
Therapieindikation nicht nur von einem Parameter abhängig machen
Eine weitere wichtige Erkenntnis aus der Studie ist, dass die Progression der Klappenerkrankung bei Frauen wie Männern zu dem Zeitpunkt, als die KÖF einen Wert von ca. 1,2 erreichte, deutlich voranschritt. Wurde dieser Wert unterschritten, verschlechterten sich das Schlagvolumen, der Druckgradient und die Flussgeschwindigkeit in der Folge rapide. Laut der Autoren könnte dieser Wert deshalb eine Art Kipppunkt für eine weitere Verschlechterung der Hämodynamik und Dekompensation der LV-Funktion darstellen. Dieser Befund könne als Hinweis dienen, wie der Schweregrad einer Aortenstenose in der TAVI-Ära neu definiert werden könne, hoffen die Kardiologen.
Letztlich macht die Studie nach Ansicht der Autoren aber auch deutlich, dass die Indikationsstellung für eine Klappenintervention nicht nur von einem Parameter abhängig gemacht werden sollte. Ito und Kollegen könnten sich für die Zukunft einen universelleren Ansatz vorstellen, der neben den klassischen Klappenparameter, geschlechterspezifische Unterschiede, aber auch Faktoren der Myokardfunktion wie den Global Longitudinal Strain, E/e‘ und NT-proBNP berücksichtigt.
Literatur
Ito S et al. Sex Differences in LV Remodeling and Hemodynamics in Aortic Stenosis. J Am Coll Cardiol Img 2022; https://doi.org/10.1016/j.jcmg.2022.02.007