Akuter Herzinfarkt: Das Ende der routinemäßigen Sauerstoffgabe
Die Zufuhr von Sauerstoff ist bei Patienten mit Verdacht auf Herzinfarkt eine häufige Routinemaßnahme – auch dann, wenn keine Hypoxie besteht. Künftig kann darauf in solchen Fällen wohl getrost verzichtet werden. Denn eine neue Studie hat diese Behandlung nun definitiv als wirkungslos überführt.
Wenn es bei Myokardischämie dem Herzmuskel an Sauerstoff mangelt, dann sollte dieses lebenswichtige Element besser rasch in größerer Menge zugeführt werden, war eine lange vorherrschende Meinung. Bei Infarktpatienten mit Hypoxie dürfte man damit richtig liegen. Doch sind inzwischen Zweifel aufgekommen, ob die Praxis der routinemäßigen Anwendung von Sauerstoff auch bei Normoxie zum Nutzen der Infarktpatienten ist.
Zweifel werden bestätigt
Die Zweifler haben recht. Nach den Ergebnissen der jetzt beim Kongress der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie (ESC) vorgestellten und simultan im „New England Journal of Medicine“ publizierten DETO2X-AMI-Studie wird die Überlebensrate von normoxämischen Patienten mit Verdacht auf akuten Myokardinfarkt durch Supplementierung von Sauerstoff nicht verbessert. Auch auf Reinfarkte und die anhand von Biomarkern (Troponine) objektivierbare Myokardschädigung hatte diese Behandlung keinen Einfluss.
In die randomisierte Studie sind an allen 69 Kliniken mit Einrichtungen für die kardiale Akutversorgung in Schweden 6.229 Patienten mit Anzeichen für einen möglichen akuten Herzinfarkt und einer gemessenen Sauerstoffsättigung im Blut von > 90 % aufgenommen worden. Eine Hälfte bekam über eine Atemmaske im Median knapp 12 Stunden lang Sauerstoff zugeführt, die andere Hälfte atmete als Kontrollgruppe nur Raumluft ohne Maske ein. Am Ende dieser Phase betrug die Sauerstoffsättigung in den Gruppen mit und ohne Sauerstoffgabe 99 % respektive 97 %.
Kein Unterschied bei der 1-Jahres-Mortalität
Nach einem Jahr waren die Mortalitätsraten (primärer Endpunkt) mit 5,0 % (Sauerstoff-Gruppe) und 5,1 % (Kontrollgruppe) nahezu identisch. Die Raten für die in dieser Zeit registrierten erneuten Klinikeinweisungen wegen Herzinfarkt waren ebenfalls kaum unterschiedlich (3,8 vs. 3,3 %). Und auch beim gezielten Blick in diverse Subgruppen von Hochrisikopatienten wie Raucher, ältere Patienten sowie Patienten mit Diabetes oder vorbestehender Herzerkrankung waren keine Unterschiede bezüglich der Sterberisikos auszumachen.
Zuvor durch kleinere Studien wie AVOID genährte Bedenken, dass sich die Sauerstoffgabe nachteilig auf das Herz auswirken könnte, werden durch die um ein Vielfaches größere DETO2X-AMI-Studie nicht bestätigt.
„Die Studie wird wahrscheinlich unmittelbare Auswirkungen auf die Praxis und künftige Leitlinien haben“, prognostiziert Studienautor Prof. Stefan James, Kardiologe an der Universität Uppsala, in einer ESC-Pressemitteilung.
Literatur
Dr. Robin Hofmann: DETermination of the role of OXygen in suspected Acute Myocardial Infarction, vorgestellt in der „Hot Line – Late Breaking Clinical Trials 2” beim Kongress der European Society of Cardiology (ESC) 2017, 29.–30. August 2017, Barcelona
Hofman R et al. Oxygen Therapy in Suspected Acute Myocardial Infarction. N Engl J Med, online 28. August 2017, https://doi.org/10.1056/NEJMoa1706222