„Grippeimpfung sofort nach dem Herzinfarkt sollte neuer Standard werden“
Macht es Sinn, Herzinfarktpatienten schon im Krankenhaus gegen Influenza zu impfen? Die randomisierte IAMI-Studie spricht dafür, und übergibt damit die Verantwortung an die Kardiologen.
Ein Herzinfarktpatient sollte möglichst schon im Krankenhaus eine Grippeimpfung erhalten. Dafür setzten sich Kardiologen jetzt beim ESC-Kongress ein. Grund für ihr Anliegen sind die Ergebnisse der IAMI-Studie, die Studienautor Prof. Ole Fröbert von der Universitätsklinik in Örebro bei einer ESC-Hot Line-Session präsentierte.
Kardiovaskuläres Risiko deutlich gesenkt
In dieser multizentrischen, doppelblinden, randomisierten Studie hat eine unmittelbar im Krankenhaus vorgenommene Grippeimpfung Postinfarktpatienten vor kardiovaskulären Komplikationen Schutz geboten. Während der nachfolgenden zwölf Monate sind Todesfälle, Herzinfarkte und Stentthrombosen unter den geimpften Patienten deutlich seltener aufgetreten als unter denen, die stattdessen ein Placebo injiziert bekamen. Die Grippeimpfung hat das Risiko für diesen kombinierten primären Endpunkt damit um 28% reduziert (Hazard Ratio, HR: 0,72; 95%-KI: 0,52–0,99; p=0,040).
Kardiologen die Verantwortung übergeben
„Wir denken, dass die Ergebnisse dieser und früherer kleinerer Studien ausreichend sein sollten, um die Influenza-Impfung als neuen Standard der intrahospitalen Herzinfarkt-Behandlung zu etablieren“ resümierte Fröbert beim Kongress. In der Konsequenz hält es der schwedische Kardiologe für angebracht, den Kardiologen „zumindest bei Herzinfarktpatienten“ ab sofort die Verantwortung für die Impfung zu übergeben. Dadurch könne die Compliance und Motivation der Patienten erhöht werden, argumentierte er.
Eigentlich wird eine Influenzaimpfung für herzkranke Patienten zur Sekundärprävention von den Leitlinien bereits empfohlen, mit einer Klasse I B-Empfehlung. In vielen Ländern werde das aber nicht umgesetzt, und zu welchem Zeitpunkt die Impfung vorgenommen werden sollte, sei unklar, erörtere Fröbert die Intention hinter dem Design der IAMI-Studie. Zudem stammt die Evidenz für eine kardiovaskuläre Schutzwirkung der Influenza-Vakzinierung bisher hauptsächlich aus Beobachtungsstudien und kleineren randomisierten Studien.
Corona-Pandemie führte zum vorzeitigen Studienstopp
Ziel der IAMI-Studie war es, speziell solche Patienten zu rekrutieren, bei denen eine Grippeimpfung nicht eh schon vorgesehen war. Insgesamt 2.571 Patienten aus 8 verschiedenen Ländern wurden randomisiert: Die eine Hälfte wurde recht bald nach der Krankenhauseinweisung geimpft, die andere erhielt Placebo. Geplant war eigentlich ein Einschluss von 4.400 Patienten. Doch, wie Fröbert beim ESC berichtete, hat sich das Data Safety Monitoring Board wegen der COVID-19-Pandemie entschlossen, die Studie vorzeitig zu beenden. Erschwert wurde die Durchführung der Studie darüber hinaus durch die schleppende Rekrutierung. Die Studienautoren entschlossen sich deshalb im Verlauf dafür, die Einschlusskriterien nicht nur auf Patienten mit STEMI und NSTEMI einzugrenzen, sondern sie auf Patienten mit stabiler KHK und hohem Risiko auszuweiten, wobei der Anteil der KHK-Patienten am Ende nur 0,3% ausmachte.
Schaut man in die Subgruppenanalysen, wird deutlich, dass vor allem die Patienten, die in der Grippesaison 2017/18 und 2019/20 geimpft worden sind, von der Vakzinierung aus kardiovaskulärer Sicht profitiert haben (HR: 0,43 bzw. 0,68). Während dieser Grippewellen sei die geschätzte Wirkung der Impfung mit bis zu 60% gut gewesen, während sie in den beiden anderen Saisonen schlechter ausgefallen sei, heißt es als Erklärung dazu in der Publikation im Fachblatt Circulation.
Impfung schützt das Herz, aber wie?
Dass die Impfung vor der Infektion schützt, ist logisch – doch wie lässt sich ihre kardiovaskuläre Schutzwirkung erklären? Bedeuten weniger Infektionen automatisch weniger Herzinfarkte? Studien zufolge geht eine Influenzainfektion mit einem erhöhten Herzinfarktrisiko einher, weshalb ein spezifischer Effekt durch die Vakzinierung auf dem ersten Blick plausibel erscheint.
Doch ganz so einfach ist die Antwort nicht. Denn schaut man die Ergebnisse der IAMI-Studie genauer an, wackelt die genannte Theorie. In dieser Studie reduzierte die Impfung zwar die sekundären Endpunkte – Gesamtsterblichkeit und Todesfälle wegen kardiovaskulärer Ursachen – signifikant (HR für beide 0,59; p=0,010 bzw. p=0,014), nicht aber die Rate an Herzinfarkten und anderer kardiovaskulärer Akutereignisse. Dieser Umstand lässt Fröbert vermuten, dass die Impfung noch andere Effekte abseits des Infektionsschutz entfaltet, die die positive Wirkung auf die Herzgesundheit erklären könnten. Immunmodulierende oder antiinflammatorische Effekte oder eine Wirkung auf die Gerinnung könnten seiner Ansicht nach eine Rolle spielen. Untersucht wurde das in der Studie aber nicht.
„Wir wissen nicht wieso, aber das ist nicht so wichtig“
Die anschließende Diskutantin der Studie, Prof. Barbara Casadei, stört sich an diesem Umstand nicht besonders: „Wir wissen nicht, warum sie wirkt, aber das ist auch nicht wirklich von Bedeutung“, sagte die Kardiologin von der Universität Oxford dazu. Auch Casadei ist – obwohl sie methodische Limitationen der Studie (vorzeitiger Stopp schränkt statistische Power ein, breites Konfidenzintervall) nicht unerwähnt ließ – von der sekundärprophylaktischen Wirkung der Impfung überzeugt. Für die Praxis leitet sie aus den Ergebnissen zwei Take-Home-Messages ab:
- „Hochrisikopatienten müssen gegen Influenza geimpft werden“, und diese Empfehlung hängt ihrer Ansicht nach nicht allein vom Alter des Patienten ab, und
- „wir müssen impfen, wo wir können, und wenn solche Patienten im Krankenhaus vorstellig werden, sollten wir sie dort impfen“.
Literatur
Fröbert O: IAMI: Influenza vaccination After Myocardial Infarction randomised trial, Hot Line - IAMI; ESC Congress 2021 – The Digital Experience, 27. bis 30. August 2021
Fröbert O et al. Influenza Vaccination after Myocardial Infarction:
A Randomized, Double-Blind, Placebo-Controlled, Multicenter Trial. Circulation 2021; DOI: 10.1161/CIRCULATIONAHA.121.057042