Akut dekompensierte Herzinsuffizienz: Altes Mittel, neu entdeckt – und es wirkt
Nur die wenigsten Patienten mit akuter dekompensierter Herzinsuffizienz sind bei Klinikentlassung vollständig rekompensiert. Ein altbekanntes Medikament könnte die Situation verbessern, dafür sprechen die Ergebnisse einer randomisierten Studie. Doch die hat einen Knackpunkt.
Schleifendiuretika gehören zu den Eckpfeilern der Behandlung einer akuten dekompensierten Herzinsuffizienz. Doch trotz dieser Medikamente verlassen viele Betroffene das Krankenhaus mit bleibenden Stauungszeichen. Das ist ein Problem, denn eine unvollständige Rekompensation ist mit einer schlechten Prognose assoziiert. Es wird deshalb nach Strategien gesucht, mit denen sich die Wirkung der Diuretikatherapie verstärken lässt, um die Entstauung zu unterstützen und zu beschleunigen.
Acetazolamid als Wirkverstärker
In der jetzt beim ESC-Kongress vorgestellten und zeitgleich im „New England Journal of Medicine“ publizierten ADVOR-Studie wurde eine solche Strategie getestet: Das Medikament, das in der Studie zum Einsatz kam, war Acetazolamid. Acetazolamid – ebenfalls ein Diuretikum – gehört zur Wirkstoffgruppe der Carboanhydrasehemmer und ist in andere Indikationen schon jahrzehntelang im Einsatz, u.a. zur Prophylaxe einer Höhenkrankheit oder zur Behandlung bestimmter Glaukomformen.
In der ADVOR-Studie wurde die Rekompensationsfähigkeit von Acetazolamid bei Patientinnen und Patienten mit einer akuten dekompensierten Herzinsuffizienz (ca. 2/3 mit HFpEF, 1/3 mit HFrEF), klinischen Stauungszeichen (Ödeme, Pleuraerguss oder Aszites) und erhöhten NT-proBNP /BNP-Werten (> 1.000 bzw. > 250 pg/ml) additiv zur bisherigen Standardtherapie überprüft. 519 Patienten mit einem Durchschnittsalter von 78 Jahren wurden hierfür randomisiert: Die eine Hälfte erhielt Acetazolamid i.v. (500 mg einmal am Tag) zusätzlich zu einer standardisierten i.v.-Therapie mit Schleifendiuretika für zwei Tage oder bis zur vollständigen Rekompensation, die andere Hälfte bekam stattdessen eine Placebo-Infusion, ebenfalls zusätzlich zur Standardtherapie.
Als primärer Endpunkt festgelegt wurde eine „erfolgreiche Rekompensation“, definiert als Abwesenheit von Stauungszeichen in den kommenden drei Tagen nach der Randomisierung, ohne dass dafür eine Eskalation der Rekompensationstherapie erforderlich wird.
Zusatztherapie verbessert Rekompensation
Diesen Zustand erreichten 42,2% der zusätzlich mit Acetazolamid behandelten Patienten, in der Placebogruppe dagegen traf das nur auf 30,5% der Teilnehmer zu – ein hochsignifikanter Unterschied zugunsten von Acetazolamid (Risk Ratio, 1,46, p ˂ 0,001).
Die Zusatztherapie wirkte sich darüber hinaus auf die Dauer des Klinikaufenthaltes, einen sekundären Endpunkt, aus: Die mit Acetazolamid behandelten Patienten verbrachten weniger Zeit im Krankenhaus als die Patienten aus der Placebogruppe (8,8 Tage vs. 9,9 Tage). Die NNT, um einen Patienten mehr vollständig rekompensiert entlassen zu können, liege nur bei sechs, veranschaulichte der Studienautor Prof. Wilfried Mullens, Oost-Limburg, beim ESC-Kongress den Nutzen der Behandlung.
Aber: Prognose bleibt unbeeinflusst
Allerdings hatte die zusätzliche Behandlung mit Acetazolamid keinen unmittelbaren Einfluss auf die Prognose der Patienten: Todesfälle und erneute Klinikeinweisungen wegen Herzinsuffizienz kamen während des dreimonatigen Follow-up in beiden Gruppen vergleichbar oft vor (29,7% vs. 27,8%, Hazard Ratio, HR, 1,07). Wobei die Studie nicht gepowert war, Unterschiede bei diesen Endpunkten aufzuzeigen, wie Mullens beim ESC betonte.
Gute Nachrichten gibt es auch mit Blick auf potenzielle Nebenwirkungen zu vermelden: Die Behandlung mit Acetazolamid hatte keinen Anstieg von Hypokaliämien, Hypotensionen oder eine Verschlechterung der Niereninsuffizienz zur Folge. Das ist insofern beruhigend, da Acetazolamid in der Niere durch seinen Wirkmechanismus die Kaliumausscheidung verstärkt und damit einen Kaliummangel induzieren kann.
Auswirkungen auf die Praxis?
Was bedeuten diese Ergebnisse nun für die Praxis? Studienautor Mullens hat dazu eine klare Meinung: „ADVOR unterstützt die Verwendung von Acetazolamid, es ist ein günstiges, patentfreies, einfach zu handhabendes und ein sehr effektives Medikament, um die Rekompensation zu verbessern“, resümiert der Kardiologe beim Kongress. An dem Nutzen von Acetazolamid lässt Mullens keine Zweifel: „eindeutig“. Es sei wichtig, die Dekompensation früh und aggressiv zu behandeln, fügt er weiter hinzu. Dafür spreche auch, dass in ADVOR der Behandlungseffekt konsekutiv zugenommen hat.
Patienten unter SGLT2-Hemmer-Therapie waren ausgeschlossen
Allerdings hat die Studie einen Haken. Patienten, die mit SGLT2-Inhibitoren behandelt wurden, waren nämlich von der Teilnahme ausgeschlossen. Das sei eine kritische Limitation, macht der in Durham tätige Kardiologe Dr. Michael Felker in einem im NEJM erschienenen Editorial deutlich, auch wenn die Entscheidung hierfür angesichts der Umstände, unter denen die Studie durchgeführt wurde (SGLT2-Inhibitoren waren zu diesem Zeitpunkt nicht überall verfügbar) vernünftig gewesen sei. Kritisch ist das deshalb, weil SGLT2-Inhibitoren inzwischen zum Standardrepertoir der Herzinsuffizienztherapie gehören. Und die meisten Patienten, die mit einer Herzinsuffizienz hospitalisiert werden, weisen eine klare Indikation für diese Behandlung auf, so Felker. „Wir können deshalb über die Wirksamkeit von Acetazolamid bei Patienten, die im Hintergrund mit SGLT2-Inhibitoren behandelt werden, nur spekulieren“, gibt der Kardiologe zu bedenken. Das Medikament könne additiv, subadditiv oder synergistisch wirken.
Mullens ist sich dagegen sicher, dass Acetazolamid additiv wirken wird. „Wir erwarten nicht, dass die Effektivität nachlässt, wenn ein SGLT2-inhibitoren dazugegeben wird“, äußerte sich der Kardiologe dazu beim Kongress. Es gebe da auch keine Sicherheitsbedenken bei einer solchen Kombination, versicherte er.
Diese Patienten könnten profitieren
Trotz der berichteten Zweifel gibt auch Felker in seinem Editorial potenzielle praktische Implikationen mit auf dem Weg. Für Patienten, die auf Schleifendiuretika voraussichtlich gut ansprechen werden (z.B. Jüngere, jene, mit einer wenigen schweren oder neu einsetzenden Herzinsuffizienz und Patienten mit normaler Nierenfunktion) reiche eine Behandlung mit Schleifendiuretika wahrscheinlich aus, um eine erfolgreiche Rekompensation herbeizuführen. Anders sieht die Situation seiner Ansicht nach bei Patientinnen und Patienten aus, die entweder eine gewisse Resistenz gegen Diuretika aufweisen oder auf Schleifendiuretika nicht ausreichend ansprechen: Bei dieser großen Gruppe an Patienten könne der Einsatz von Acetazolamid eine sinnvolle Zusatztherapie darstellen, meint Felker. Inwieweit eine solche Strategie im Kontext einer zeitgemäßen Herzinsuffizienztherapie eine Rolle spielen werde, müssten künftige Studien definieren, macht der Kardiologe am Ende seine Editorials deutlich.
Literatur
Mullens W: ADVOR - Acetazolamide in acute heart failure. Hotline-Session 2, ESC Congress 2022, 26. bis 29. August in Barcelona
Mullens W et al. Acetazolamide in Acute Decompensated Heart Failure with Volume Overload. N Engl J Med. 2022, DOI: 10.1056/NEJMoa2203094
Felker GM. New decongestion strategies in an evolving heart failure landscape. N Engl J Med. 2022; DOI: 10.1056/NEJMe2209997