Thromboseprophylaxe: Neue Substanz wirkt besser als Heparin
Vielleicht gibt es bald ein neues Medikament zur Thromboseprophylaxe. Ein Faktor XI-Hemmer hat in einer Phase II-Studie postoperative Thromboembolien wirksamer verhindern können als ein herkömmlicher Gerinnungshemmer, bei geringem Blutungsrisiko.
Postoperative thromboembolische Komplikationen könnten in Zukunft womöglich noch effektiver verhindert werden. Ein neuer, gegen Faktor XI gerichtete monoklonaler Antikörper mit dem Namen Abelacimab hat sich in einer randomisierten Phase II-Studie als wirksam und sicher erwiesen. Als Vergleichssubstanz wurde das Heparin Enoxaparin herangezogen.
Venöse Thromboembolien waren deutlich seltener
Insgesamt wurden in der open-label-Studie 412 Patienten im Anschluss an eine Kniearthroskopie mit einer der beiden Substanzen zur Thromboseprophylaxe behandelt: 103 Personen erhielten Enoxaparin 40 mg subkutan einmal täglich für im Mittel 9 Tage (6–12 Tage), die restlichen bekamen 4 bis 8 Stunden nach dem Eingriff eine Einmaldosis von Abelacimab intravenös, entweder 30, 75 oder 150 mg. Die Randomisierung erfolgte nach einem 1:1:1:1-Prinzip.
Bei den Patienten, die mit den beiden höheren Abelacimab-Dosen behandelt worden sind, traten nach der Operation deutlich seltener venöse Thromboembolien aus als bei den Patienten aus der Enoxaparin-Gruppe (bei 5% bzw. 4% vs. 22%). Die Faktor XI-Hemmer-Therapie war also bzgl. des primären Endpunktes – venöse Thromboembolien in der 8 bis 12 Tage nach Operation obligatorischen Phlebografie– der Heparin-Therapie deutlich überlegen (p˂0,001).
Die 30 mg-Dosis von Abelacimab bot zumindest einen gleichwertigen Schutz vor venösen Thromboembolien wie Enoxaparin, war also nicht unterlegen (13% vs. 22%).
Kaum Blutungen
Blutungskomplikationen gab es generell sehr wenige. Bei jeweils 2% der Probanden aus den Abelacimab-Gruppen mit 30 mg und 75 mg kam es innerhalb der kommenden 30 Tage zu einem klinisch relevanten Blutungsereignis, in der 150 mg-Gruppe und in der Enoxaparin-Gruppe gab es keine entsprechenden Komplikationen. Schwerwiegende Blutungen sind nicht aufgetreten, in keiner der Gruppen.
Besonderer Wirkmechanismus
Die Studienautoren um den Kardiologen Dr. Peter Verhamme schließen daraus, dass die Behandlung mit dem neuen Faktor XI-Hemmer ein geringes Blutungsrisiko birgt, und dabei das Risiko für postoperative Thromboembolien in einem größeren Ausmaß senkt als herkömmliche Antikoagulanzien wie Enoxaparin. Doch wie soll das funktionieren? Die belgischen Ärzte erklären sich das mit dem besonderen Wirkmechanismus der neuen Substanz. Abelacimab bindet sehr schnell an Faktor XI, hält den Gerinnungsfaktor dadurch in seiner inaktiven Konformation und verhindert dessen Aktivierung durch Faktor XIIa oder Thrombin. Es gebe zunehmende Evidenz, dass eine solche Hemmung von Faktor XI die Entstehung von Thrombosen abschwäche, die Hämostase dadurch aber kaum gestört werden, erläutern Verhamme und Kollegen das Prinzip.
Ob sich die Thrombosebildung durch eine Faktor XI-Hemmung tatsächlich derart dissoziiert beeinflussen lässt, ist allerdings noch nicht bewiesen. Das Blutungsrisiko in der aktuellen Studie war zwar sehr niedrig, aber da die Blutungsraten prinzipiell sehr gering waren, ist die Aussagekraft limitiert. Weitere Untersuchungen sind somit vonnöten, in denen die Wirksamkeit und Sicherheit von Abelacimab bestätigt werden muss.
Literatur
Verhamme P et al. Abelacimab for Prevention of Venous Thromboembolism. N Engl J Med 2021;385:609-17