Nachrichten 20.01.2022

Herzinsuffizienz-Risiko in der Bevölkerung hat sich erhöht

Das Risiko für Menschen mittleren Alters, in der ihnen verbleibenden Lebenszeit an Herzinsuffizienz zu erkranken, ist in den vergangenen Jahrzehnten größer geworden. Dafür sprechen Ergebnisse einer neuen Analyse von Daten der Framingham-Herz-Studie.

Die 1948 gestartete Framingham Heart Study (FHS), an der mittlerweile drei Generationen von Einwohnern der Stadt Framingham im US-Bundesstaat Massachusetts beteiligt waren oder sind, hat als Klassiker unter den epidemiologischen Studien bekanntlich viel dazu beigetragen, Erkenntnisse über Zusammenhänge zwischen Risikofaktoren und kardiovaskulären Erkrankungen zu gewinnen.

In ihrer neuesten Analyse ist die FHS-Forschergruppe der Frage nachgegangen, wie sich für einen mindestens 50 Jahre alten Menschen das Risiko, in der noch vor ihm liegenden Lebenszeit eine Herzinsuffizienz zu entwickeln (residual lifetime risk, RLR), in den letzten Jahrzehnten verändert hat. Die Ausgangsvermutung der Forscher war, dass sich dieses Risiko aufgrund einer höheren Prävalenz von Risikofaktoren wie Hypertonie, Adipositas und Diabetes in der Bevölkerung, aber auch angesichts einer gestiegenen Lebenserwartung, erhöht haben könnte. Mit dieser Vermutung lagen sie richtig, wie die Ergebnisse der Analyse zeigen.

Entwicklung über fünf Jahrzehnte im Blick

Die Forschergruppe um Dr. Ramachandran S. Vasan von der Boston University School of Medicine hat für ihre Analyse in einem Zeitraum von rund fünf Jahrzehnten (1965 – 2014) erhobene Studiendaten aller FSH-Kohorten herangezogen. Die Studienautoren untersuchten auf dieser Basis Veränderungen des residualen Lebenszeitrisikos für Herzinsuffizienz in zwei Zeitabschnitten von jeweils rund 25 Jahren, nämlich zwischen 1965 und 1989 (Phase 1) sowie zwischen 1990 und 2014 (Phase 2). Berücksichtigt wurden nur diejenigen Personen, die mindestens 50 Jahre und maximal 94 Jahre alt waren.

Die mittlere Lebenserwartung der an der Studie beteiligten Personen erhöhte sich um 6,2 Jahre (Frauen) und um 5,6 Jahre (Männer), sie stieg dabei von 75,9 (Phase 1) auf 82,1 Jahre (Phase 2) bei Frauen und von 72,5 auf 78,1 Jahre bei Männern. Die mediane Follow-up-Dauer betrug 20 Jahre (Männer) bis 23 Jahre (Frauen) in Phase 1 und 18 Jahre (Frauen) bis 19 Jahre (Männer) in Phase 2.

Lebenszeitrisiko für Herzinsuffizienz ist größer geworden

In dieser Zeit entwickelten 8,3% (Phase 1) und 9,2% (Phase 2) der FHS-Teilnehmer eine Herzinsuffizienz (Inzidenz: 5,60/1.000 Personenjahre, respektive 6,79/1.000 Personenjahre). Das mittlere Alter davon betroffener Personen zum Zeitpunkt der Herzinsuffizienz-Diagnose war in Phase 2 um 6,6 Jahre (Frauen) respektive 7,2 Jahre (Männer) höher als in Phase 1, es stieg von 70,7 Jahre (Männer) und 74,7 Jahre (Frauen) in Phase 1 auf 77,9 Jahre (Männer) and 81,3 Jahre (Frauen) in Phase 2.

Das residuale Lebenszeitrisiko für Herzinsuffizienz (im Alter von 50 Jahren) erhöhte sich von 18,86% (Phase 1) auf 22,55% (Phase 2) bei Frauen und von 19,19% auf 25,25% bei Männern. Somit nahm das Risiko absolut um 3,69 Prozentpunkte (p = 0,01) bei Frauen und um 6,06 Prozentpunkte (p < 0,001) zu.

Ist höhere Lebenserwartung als Faktor von Bedeutung?

Die über fünf Jahrzehnte erhobenen FHS-Daten boten den Untersuchern auch die Möglichkeit, das 30-Jahre- sowie das 40-Jahre-Risiko für Herzinsuffizienz zu analysieren. Während beim 30-Jahre-Risiko in Phase 2 eine Abnahme zu verzeichnen war, war das 40-Jahre-Risiko in der zweiten Phase höher als in Phase 1. Diese Beobachtung legt nach Ansicht der Studienautoren nahe, dass der Anstieg der Lebenserwartung um rund sechs Jahre in Phase 2 zur Zunahme des Lebenszeitrisikos für Herzinsuffizienz beigetragen haben könnte.

Die Studie zeigt allerdings auch, dass die Prävalenz von modifizierbaren Risikofaktoren wie Adipositas, Hypertonie oder Diabetes in den letzten 25 Jahren höher war als in den 25 Jahren davor.

Als Limitierung ihrer Analyse wertet die Gruppe um Vasan unter anderem die Tatsache, dass die zugrunde gelegten Daten von einer überwiegend weißen US-Bevölkerung der Region New England im Nordosten der USA stammen. Die Übertragbarkeit auf ethnisch anders zusammengesetzte Bevölkerungen in anderen Regionen sei deshalb fraglich.

Literatur

Vasan RS. et al. Lifetime Risk of Heart Failure Among Participants in the Framingham Study. J Am Coll Cardiol 2022; 79:250–63

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