50-Jähriger mit wiederholtem Brustschmerz – keine Stenose, sondern?
Ein 50-jähriger Patient wird wegen Brustschmerz und Ohnmachtsanfällen vorstellig. Eine ausgeprägte Stenose können die Kardiologen in der Koronarangiografie allerdings nicht feststellen. Stattdessen finden sie einen auffälligen Zusammenhang mit dem Alkoholkonsum des Mannes.
Nicht immer steckt hinter einer Angina-Symptomatik eine koronare Herzerkrankung im klassischen Sinne. Gar nicht so selten können entsprechende Beschwerden auch durch bestimmte Lebensstilfaktoren ausgelöst werden, wie an dem folgenden Fallbericht, über den Dr. Caifeng Fan und Kollegen im JAMA Internal Medicine berichten, deutlich wird.
Ein 50-jähriger Patient wird zunächst in der gastrointestinalen Abteilung der Zhengzhou Universitätsklinik vorstellig, weil er unter Oberbauchbeschwerden, Schwindel und Ohnmachtsanfällen leidet. Entsprechende Brustbeschwerden habe er schon seit zwei Jahren, berichtet der Mann. Auffällig an seiner Anamnese ist der seit 20 Jahren bestehende übermäßige Alkoholkonsum (im Schnitt 250 Gramm pro Woche). Wie der Patient weiter ausführt, treten die Beschwerden für gewöhnlich einige Stunden (6–20 Stunden) nach dem Alkoholkonsum auf. In Ohnmacht fällt er nur, wenn er sehr viel getrunken hat.
Auffällige ST-Streckenhebungen, aber keine Stenose
Das initiale EKG zeigt einen hochgradigen AV-Block und Extrasystolen. Außerdem lassen sich in den Ableitungen II, III und aVF ST-Streckenhebungen (4–6 mm) nachweisen, in V2 und V6 sind ST-Streckensenkungen feststellbar. Zusätzlich sind ausgeprägte ST-Streckenhebungen (4–15 mm) in II, III, aVF, V2 bis V6 erkennbar. Der Patient befindet sich ansonsten im Sinusrhythmus, mit Ausnahme kurzer Episoden von ventrikulären Tachykardien (VT).
Aufgrund des auffälligen EKG-Befundes wird der Mann sofort in die kardiologische Abteilung verlegt. Dort wird eine Koronarangiografie vorgenommen. Allerdings können die zuständigen Kardiologen um Fan keine ausgeprägten Verengungen feststellen. In der LAD und RCA finden sich nur 10%ige Stenosen. Im linken Hauptstamm und in der RCX sind keinerlei Engstellen feststellbar. Die Troponin- und Kaliumwerte bei Klinikaufnahme waren ebenfalls unauffällig.
Alkohol als wahrscheinliche Ursache
Fan und sein Team gehen deshalb davon aus, dass der Mann an einer sog. Prinzmetal-Angina leidet. Dabei handelt es sich um eine Variante der Angina, die mit transienten ST-Streckenhebungen einhergeht, die aber nicht durch eine Stenose, sondern durch Spasmen in den Koronararterien ausgelöst wird. Im Gegensatz zur klassischen Angina, die oft unter Anstrengung auftrete, entstehe eine Prinzmetal-Angina meist in Ruhe und könnte durch Kälte, Kaffee, emotionaler Unruhe, Alkohol oder anderer Faktoren verursacht werden, erläutern die Kardiologen die Zusammenhänge. Nicht selten findet sich Alkohol als Auslöser. So hatten in einer Studie von Takizawa et al. 26,8% der Patienten mit einer Variant-Angina im Vorfeld Alkohol konsumiert.
Zwar sind die Mechanismen, wie Alkohol eine solche Form der Angina auslöst, noch nicht vollständig geklärt, wie die Autoren erläutern. Vieles spricht aber dafür, dass Alkohol durch eine vaskuläre endotheliale Dysfunktion Koronarspasmen triggert. Einen solchen Mechanismus vermuten die Kardiologen auch bei ihrem 50-jährigen Patienten. Durch das langjährige Rauchen und den andauernden Alkoholkonsum könne er eine endotheliale Dysfunktion entwickelt haben. Fan und Kollegen könnten sich zudem vorstellen, dass die hohe Prävalenz einer Aldehyd-Dehydrogenase 2-Defizienz in der ostasiatischen Bevölkerung diese für das Auftreten von Alkohol-induzierten Vasospasmen prädestiniert.
Alkoholverzicht ist die wichtigste Maßnahme
Nach der Diagnosestellung wird der Patient mit dem Kalziumantagonisten Diltiazem behandelt, worunter seine Beschwerden nachlassen. Außerdem wird bei dem Mann eine Behandlung mit Atorvastatin, Aspirin und Clopidogrel begonnen. Besonders relevant für die weitere Prognose ist, dass der Patient den Alkoholkonsum einstellt. Das macht er auch, ebenso hört er das Rauchen auf. Während der zweijährigen Nachsorge hat der Mann keine weiteren Angina-Beschwerden mehr.
Fazit für die Praxis |
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Literatur
Fan C et al. Recurrent Angina After Alcohol Consumption. JAMA Intern Med. 2023. doi:10.1001/jamainternmed.2022.5411