Neue Risiko-Gene für die KHK entdeckt
Ein weltweites Konsortium hat sechs neue Gen-Orte identifiziert, an denen Veränderungen mit einem erhöhten Risiko für KHK einhergehen. Die eigentliche Botschaft lautet freilich, dass viele Risiko-Gene überall mitmischen. Was das Verständnis der Pathogenese der KHK nicht einfacher macht.
Wer über die Pathogenese der koronaren Herzerkrankung reden möchte, beginnt am besten in den 90er Jahren. Damals flammten die (ideengeschichtlich weit älteren) „Nature-Nurture“-Debatten in der medizinischen Forschung einmal mehr auf, also Diskussionen um die Frage, welcher Anteil des Risikos für komplexe Erkrankungen auf Gene und welcher auf Umweltfaktoren zurückgeht.
Der genetische Anteil lässt sich für eine Erkrankung berechnen, und bei der KHK landeten die meisten Genetiker damals bei einem Anteil der Gene an der KHK-Entwicklung in der Größenordnung von 50 Prozent. Die andere Hälfte der KHK-Entstehung geht auf das Konto der Umwelt.
Konsortium findet sechs neue Gen-Loci für die KHK
Heute lassen sich die genetischen Einflussfaktoren bei komplexen Erkrankungen dank moderner Sequenzierungstechnik und dem Instrument der genomweiten Assoziationsstudien deutlich präziser fassen. Bei der KHK hat sich in diesem Feld das internationale CARDIoGRAM Exome-Konsortium hervorgetan, an dem auch viele deutsche Wissenschaftler beteiligt sind.
In einer aktuellen Publikation werden jetzt neben den 56 bereits bekannten Genabschnitten sechs weitere „Loci“ beschrieben, an denen Nukleotidveränderungen auftreten können, die das KHK-Risiko erhöhen.
Einige davon liegen in Genen oder in der Nähe von Genen, deren Zusammenhang mit der KHK bekannt ist, etwa 16q13 in der Promotorregion des Cholesterinestertransferproteins (CETP) oder 12q13 im Gen für ein LDL-Rezeptor-assoziiertes Protein. Andere sind etwas unerwarteter, etwa 6p21 im Gen des Komplementfaktors C2. Dies könne darauf hindeuten, dass das Komplementsystem bei der Genese der KHK eine wichtigere Funktion habe als angenommen, betonte Jason Kovacic von der Icahn School of Medicine, der die Arbeit des Konsortiums in einem Editorial kommentiert.
Gene: Mindestens so pleiotrop wie Statine
Der Zusammenhang zwischen KHK-Genen und kardiovaskulären Risikofaktoren lässt sich auch statistisch berechnen. In der Gesamtschau ergibt sich als vorläufige Bilanz, dass knapp vier von zehn der jetzt 62 definitiv bekannten, mit KHK assoziierten Gen-Loci eine statistische Beziehung zu traditionellen KHK-Risikofaktoren haben, sechs von zehn dagegen nicht. Knapp die Hälfte der Gen-Loci sind zudem auch mit anderen komplexen Erkrankungen assoziiert, darunter Zoeliakie, Lupus erythematodes, Schizophrenie, rheumatoide Arthritis und chronisch-entzündliche Darmerkrankungen.
Kovacic betont, dass die Risikobeziehungen dabei variieren können. Es ist nicht egal, ob an einem Gen-Lokus beispielsweise eine Genvariante mit Adenosin oder mit Guanin vorliegt. Im einen Fall kann das KHK- und Migränerisiko erhöht sein, im anderen Fall vielleicht das KHK- und Lupus-Risiko. Es gibt auch gegenläufige Konstellationen, bei denen ein und dieselbe Genvariante das Risiko der einen Erkrankung erhöht, während sie das Risiko einer anderen Erkrankung senkt. So ist keineswegs jede Genvariante, die mit erhöhtem Risiko entzündlicher Erkrankungen einhergeht, auch mit einem erhöhten KHK-Risiko vergesellschaftet. Der Zusammenhang zwischen Entzündung und KHK ist vor diesem Hintergrund wahrscheinlich komplexer als gedacht, zumindest deuten darauf die Gene hin.
Einzelne Gene erklären nur ein Bruchteil der KHK
Besonders faszinierend ist, dass jener Anteil von rund 50 Prozent, der bei der KHK basierend auf genetischen Modellen auf erbliche Faktoren zurückgeführt wird, durch die bisher bekannten KHK-Gene nicht ansatzweise ausgefüllt wird. Selbst wenn zu den 62 bekannten KHK-assoziierten Gen-Loci noch jene gut 100 Gen-Loci hinzugezählt werden, für die ein Zusammenhang mit der KHK zumindest möglich ist, würde das nur etwa 15 Prozent der KHK-Entstehung erklären. Mit anderen Worten: Erblichkeit scheint mehr zu sein als einzelne Nukleotidveränderung in codieren Abschnitten der DNA.
Ganz neu ist diese Erkenntnis nicht. Sie dämmerte einigen Wissenschaftlern schon zu der Zeit, als sich im Rahmen des Humangenomprojekts herausstellte, dass der Mensch sehr viel weniger Gene hat, als die Genetiker jahrelang postuliert hatten – und als sie gebraucht hätten, um all jenes mit Genen zu erklären, was sie mit Genen gerne erklärt hätten. Der „Rest“ an Erblichkeit der KHK wie anderer Erkrankungen könnte auf epigenetische Faktoren, auf Genveränderungen in nicht codierenden Abschnitten der DNA, auf Interaktionen zwischen Genen oder auf ganz andere, noch gar nicht bekannte Mechanismen zurückzuführen sein. Das ist spannend, aber auch unglaublich komplex.
Literatur
Webb T et al. Systematic Evaluation of Pleiotropy Identifies 6 Further Loci Associated With Coronary Artery Disease. J Am Coll Cardiol. 2017;69:823-36
Kovacic J et al. Unraveling the Complex Genetics of Coronary Artery Disease. J Am Coll Cardiol. 2017;69:837-40