Neuer Risikoscore erkennt Herzinfarkt-Patienten von morgen
In einer großen Studie konnten genetische Tests Patienten mit erhöhtem Herzinfarktrisiko identifizieren, die mit dem klinischen Standardverfahren nicht entdeckt worden wären. Das eröffnet neue Möglichkeiten der Primärprävention.
Anhand der Anzahl genetischer Varianten, die auf eine erblich bedingte Disposition für koronare Herzerkrankung (KHK) hinweisen, gelang es US-amerikanischen Forschern, Patienten mit einem erhöhten Risiko für Herzinfarkte zu erkennen. Diese sogenannte polygene Risikobewertung (PRS) könnte möglicherweise die klinische Standardmethode ergänzen und die Prävention verbessern.
Mit klinischem Score werden viele Hochrisikopatienten nicht entdeckt
Die Forscher um Dr. Krishna Aragam von der Havard Medical School in Boston analysierten mithilfe von PRS die Gene von mehr als 47.000 US-Amerikanern, die im Schnitt 60 Jahre alt waren. Die 20% der Teilnehmer mit dem höchsten polygenen KHK-Risiko , hatten eine signifikant um das 1,9-Fache erhöhte Wahrscheinlichkeit, die Krankheit zu entwickeln, verglichen mit den restlichen 80% mit niedrigeren Scores.
Obwohl sie eine Untergruppe identifizierten, deren Herzinfarktrisiko genetisch bedingt fast doppelt so hoch sei wie bei den übrigen Teilnehmern, seien diese Personen von ihren Ärzten nicht häufiger als Hochrisikopatienten eingestuft worden und hatten auch nicht öfter eine präventive Statintherapie erhalten, so Aragam und Kollegen. Es waren Einrichtungen aus drei verschiedenen US-Bundesstaaten Teil der Studie, dies sei in allen der Fall gewesen.
Hilfreich bei Patienten in der „Grauzone“
Laut der Forscher könnten durch PRS Patienten identifiziert werden, die bisher noch keinen Herzinfarkt erlitten hatten, aber von einer präventiven Statintherapie profitieren könnten. Koppele man die genetische mit der klinischen Bewertung, würde bei etwa 1 von 25 Patienten ein entsprechender Bedarf ermittelt werden, schätzen sie. PRS verbreite sich immer mehr und könne besonders bei klinischer Unsicherheit hilfreich sein, etwa wenn Patienten basierend auf der Standardbewertung in eine „Grauzone“ mit mittlerem Risiko fielen, vermuten die Studienautoren.
PRS als zweites Standbein der Prävention?
Dr. Jerome Rotter und Dr. Henry Lin, Genomforscher am Lundquist Institut in Torrance, halten PRS für einen kostengünstigen Test, der präventiv einmal im Leben erfolgen könnte. Die aktuelle Studie weise darauf hin, dass das Verfahren ein zweites Standbein der Prävention von KHK sein könne, das über die bisher bekannten Risikofaktoren hinausgehe, schreiben sie in einem begleitenden Kommentar.
Auch sie glauben, dass das bisherige Standardverfahren möglicherweise nicht alle Personen erfasse, die von einer Statintherapie profitieren würden. „Zudem könnte die PRS auch für weitere KHK-Patienten hilfreich sein – etwa für junge Menschen. Zukünftige Studien werden zeigen, wie sich die neue Risikobewertung bei individuellen Behandlungsentscheidungen am besten integrieren lässt und inwieweit sie Erkrankungen verhindern und damit Leben retten kann“, resümieren Rotter und Lin.
Literatur
Aragam et al. Limitations of Contemporary Guidelines for Managing Patients at HighGenetic Risk of Coronary Artery Disease. Journal of the American College of Cardiology 2020. https://doi.org/10.1016/j.jacc.2020.04.027
Rotter et al. An Outbreak of Polygenic Scores for Coronary Artery Disease. Journal of the American College of Cardiology 2020. https://doi.org/10.1016/j.jacc.2020.04.054