Nachrichten 18.01.2018

Herzpatienten in extremen Höhen – was müssen Sie als Arzt beachten?

Extreme Höhen über 2.500 Meter können für Herzpatienten potenziell gefährlich werden. In einem Konsensuspapier geben Experten Empfehlungen, wie Sie Ihren Patienten einen sicheren Höhenaufenthalt gewährleisten können.

Was raten Sie einem Herzinfarkt-Patienten, wenn er wissen möchte, wann er wieder Bergsteigen darf und wie hoch er dann gehen darf? Die Antworten auf solche Fragen sind alles andere als trivial. Denn Experten sind sich uneins, inwieweit Aufenthalte in extremen Höhen für Herzpatienten gefährlich werden können. Und mit den heutigen Reiseoptionen, beispielsweise Flugreisen in hochgelegene Städte oder Gondelfahrten auf hohe Berge, können selbst unfitte und ältere Menschen ohne körperliches Zutun auf extreme Höhen gelangen.

Ein Expertenkonsortium mehrerer Fachgesellschaften, u.a. der Europäischen Kardiologie-Gesellschaft (ESC), hat nun die bisherige Evidenz zu Höhenaufenthalten bei kardiovaskulär vorbelasteten Patienten zusammenzutragen und entsprechende Empfehlungen ausgesprochen.

Als extreme Höhe werden 2.500 Meter über den Meeresspiegel definiert.

Physiologische Anpassungsmechanismen

Unbestritten ist, dass in solchen Höhen die Sauerstoffversorgung eingeschränkt ist (alveolärer Sauerstoffpartialdruck auf Meereshöhe: 100 mmHg, auf 3.000 Meter: 67 mmHg) und deshalb physiologische Anpassungsreaktionen erforderlich werden.  

Dieser als Akklimatisation bezeichneter Prozess äußert sich u.a. in einer Zunahme der Ventilation, des Herzzeitvolumens und  der Erythrozytenzahl. Arterieller Blutdruck und die Herzfrequenz steigen an. Die höhenbedingte Hyperventilation führt zur Hypokapnie und respiratorischen Alkalose und kann eine sog. periodische Atmung zur Folge haben. Vor allem während der Nacht kommt es dann abwechselnd zu einem An- und Abschwellen der Atmung.

Die alveoläre und arterielle Hypoxie verursacht eine Zunahme der pulmonalen Vasokonstriktion, die wiederum in einer pulmonalen Hypertonie übergehen kann, mit dem Risiko, dass sich ein Lungenödem oder gar ein Rechtsherzversagen entwickeln.

Die Frage ist nun auf der einen Seite, ob die in der Höhe erforderlichen physiologischen Kompensationsmechanismen bei Patienten mit kardialen Vorerkrankungen ausreichend funktionieren und zum anderen, ob die Bedingungen in solchen Höhen ein weiteres kardiovaskuläres Ereignis begünstigen könnten.

Dazu ist zunächst zu sagen, dass es auf dem Gebiet der Höhenmedizin im Allgemeinen nur wenig gut durchgeführte Studien gibt und die, die es gibt, mit nur wenigen Patienten durchgeführt worden sind.

Empfehlungen für Herzinsuffizienz-Patienten

Für Patienten mit einer Herzinsuffizienz scheinen bisherigen Studien zufolge kürzere Höhenaufenthalte jedenfalls ungefährlich zu sein, selbst dann wenn sie sich dabei mäßig körperlich anstrengen. Generell wird wie auch für gesunde Menschen empfohlen, langsam aufzusteigen (300 bis 500 Meter pro Tag ab 2.500 Meter). Die konkreten Empfehlungen lauten:

  • Patienten mit NYHA-Klasse I–II können eine Höhe von 3.500 Meter sicher erreichen, sie sollten dort keinen schweren körperlichen Aktivitäten nachgehen.
  • Patienten mit NYHA-Klasse III können eine Höhe von 3.000 Meter sicher erreichen, sie sollten dort maximal leichten körperlichen Anstrengungen nachgehen.
  • Patienten mit NYHA-Klasse IV sollten extreme Höhenlagen meiden.

Bei allen Patienten mit Herzinsuffizienz sollten typische Komorbiditäten wie pulmonale Hypertonie, chronische Lungenerkrankungen, Nierenerkrankungen, Schlafapnoe, Anämien und Thrombophilien sorgfältig abgeklärt werden.

Ebenso gilt es die Medikation kritisch zu prüfen. Trotz ihrer unbestrittenen Bedeutung in der Herzinsuffizienz -Therapie hemmen ACE-Hemmer und Angiotensinrezeptor-Blocker die Erythropoietin-Produktion in der Niere, weisen die Experten hin. Dadurch könne der in der Höhe wichtige kompensatorische Anstieg des Hämatokrit und der Sauerstoffbindungs-Kapazität möglicherweise abgeschwächt sein. Konkret empfehlen die Autoren:

  • wenn immer möglich einen β1-selektiven Betablocker einzusetzen (z. B. Nebivolol),
  • als Diuretikum Acetazolamid in Betracht zu ziehen, welches generell  zur Prophylaxe und Therapie der Höhenkrankheit eingesetzt wird.

Allerdings betonen sie, dass eine Begleittherapie mit Acetazolamid oder anderen Diuretika in Höhenlagen möglicherweise eine Dehydration und ein Ungleichgewicht des Elektrolythaushaltes herbeiführen könnte.  Derzeit noch unklar ist, ob das Auftreten einer periodischen Atmung durch Acetazolamid unterdrückt werden sollte.

Empfehlungen für Patienten mit ischämischen Herzkrankheiten 

Widersprüchlich ist die Studienlage zur Frage, ob und inwieweit eine höhenbedingte Hypoxie für Patienten mit ischämischen Herzerkrankungen gefährlich werden könnte. Extreme Höhenlagen könnten Patienten mit koronarer Herzerkrankung möglicherweise Schwierigkeiten bereiten, da ihr Koronarfluss bereits auf Meereshöhe eingeschränkt und die Elastizität ihrer Arterien aufgrund von atheromatösen Läsionen und mikrovaskulärer Dysfunktion gestört sei, erläutern die Experten.

Bisherige Studien legen allerdings nahe, dass die Höhenexposition zumindest bei Patienten mit geringem ischämischem Risiko weder Ischämien noch Arrhythmien provoziert.  

Generell wird allen kardiovaskulären Patienten geraten, ihre bisherige Medikation, besonders die duale Plättchenhemmung nach Stentimplantation, beizubehalten und nur in Absprache mit dem Arzt Änderungen vorzunehmen. Personen, die bisher auf geringen Höhen kaum körperlichen Anstrengungen nachgegangen sind, wird davon abgeraten, dies in Höhenlagen auszuprobieren. Die Gabe von Acetazolamid kann als Infarktprophylaxe sinnvoll sein, wobei für KHK-Patienten hierzu keine Daten vorliegen. Konkret wird empfohlen, dass

  • Patienten nach einem Herzinfarkt/Koronararterien-Bypass sich frühestens nach 6 Monaten in Höhenlagen begeben sollten.
  • Patienten nach einer Stentimplantation einen Höhenaufenthalt die ersten 6–12 Monate vermeiden sollten.  
  • Für Patienten mit niedrigem Risiko (CCS 0-I) werden Aufenthalte bis 4.200 Meter und niedrige bis moderate körperliche Aktivität  als relativ sicher erachtet.
  • Für Patienten mit moderatem Risiko (CCS II-III) ist ein Aufstieg auf bis zu 2.500 Meter vertretbar. Körperliche Anstrengungen (bis auf leichte) sind dort kontraindiziert.
  • Patienten mit hohem Risiko (CCS IV) sollten extreme Höhen meiden.

Empfehlungen für Bluthochdruckpatienten

Da in Höhenlagen der Blutdruck selbst bei gesunden Menschen ansteigt, liegt es nahe, dass extreme Höhen für Menschen mit Bluthochdruck eine Gefahr darstellen könnten. In Studien hat sich gezeigt, dass der Blutdruck bei hypertensiven Patienten in der Höhe weiter ansteigt und diese Zunahme auch stärker ausfällt als bei normotensiven Menschen.

Daher empfehlt das Expertengremium bei Patienten mit moderater bis schwerer Hypertonie, die einen Höhenaufenthalt planen, die antihypertensive Medikation ggf. anzupassen.

  • Eine wirksame Blutdruckkontrolle  auf 3.300 Meter ist mit einer Kombination von Nifedipin/Telmisartan möglich.
  • Der β1-selektive Betablocker Nebivolol wirkt dem höheninduzierten Blutdruckanstieg effektiv entgegen und zum Erhalt des nächtlichen Blutdruck-Dipping eingesetzt werden.

Auch bei gesunden Menschen kann der Einsatz des Angiotensin II-Rezeptor-Blockers Telmisartan zur Vermeidung eines Blutdruckanstieges in Höhenlagen bis zu 3.400 Meter sinnvoll sein, ebenso wie die Gabe von Acetazolamid, das ebenfalls den Blutdruck senkt, darüber hinaus die Sauerstoffsättigung verbessert und die Symptome der Höhenkrankheit lindert.

  • Patienten mit moderater bis schwerer Hypertonie und jene mit einem moderat bis stark erhöhtem kardiovaskulärem Risiko sollten ihren Blutdruck vor und während des Höhenaufenthaltes kontrollieren. 
  • Ein Höhenaufenthalt über 4.000 Meter ist für Patienten mit gut kontrollierter oder milder Hypertonie im Falle einer adäquaten Therapie womöglich vertretbar.
  • Patienten mit unkontrollierter/schwerer Hypertonie sollten extreme Höhen meiden, da das Risiko für einen Organschaden zu groß ist.

Empfehlungen für Menschen mit Rhythmusstörungen

Rein aus physiologischen Gründen könnte man annehmen, dass extreme Höhenexpositionen ein erhöhtes Arrhythmie-Risiko bergen (gesteigerte Sympathikusaktivität, verminderte Sauerstoffsättigung, Zunahme der transmembranen Kaliumkonzentration usw.). In Studien an Gesunden haben sich diese Bedenken allerdings nicht bestätigt. Wenig bis gar nichts bekannt ist über das potenzielle Arrhythmie-Risiko in Höhenlagen bei Personen, die bereits an einer Rhythmusstörung leiden.  Die Autoren empfehlen:

  • Patienten mit ernsten Rhythmusstörungen (speziell jene mit ventrikulären Arrhythmien) Höhen von 3000 bis 3500 Meter nicht zu überschreiten
  • und fernabgelegene Orte, wo keine medizinische Versorgung gewährleistet ist, zu vermeiden.
  • Höhenaufenthalte für Patienten mit elektrischen Devices (einschließlich Schrittmacher und ICDs) sind generell möglich, wenn der Gesundheitszustand unbedenklich ist.

Literatur

Gianfranco Parati, Piergiuseppe Agostoni, Buddha Basnyat Clinical recommendations for high altitude exposure of individuals with pre-existing cardiovascular conditions, European Heart Journal, 2018 doi:10.1093/eurheartj/ehx720

Highlights

Hätten Sie es erkannt?

Linker Hauptstamm in der CT-Angiographie eines 80-jährigen Patienten vor TAVI. Was fällt auf?

Myokarditis – eine tödliche Gefahr

In der vierten Ausgabe mit Prof. Andreas Zeiher geht es um die Myokarditis. Der Kardiologe spricht über Zusammenhänge mit SARS-CoV-2-Infektionen und COVID-19-Impfungen und darüber, welche Faktoren über die Prognose entscheiden.

Aktuelles und Neues aus der Kardiologie

Süßstoff Erythrit könnte Herzinfarkt- und Schlaganfall-Risiko erhöhen

Mit Süßstoff gesüßte Lebensmittel, sog. Light-Produkte, werden oftmals als gesundheitsfördernd propagiert. Doch offenbar scheinen sie genau das Gegenteil zu bewirken, wie aktuelle Untersuchungen nahelegen.

Hypertrophe Kardiomyopathie kein Argument gegen Sport

Wer an einer hypertrophen Kardiomyopathie leidet und regelmäßig Sport mit Belastungen über 6 MET betreibt, riskiert damit keine arrhythmischen Komplikationen, so das Ergebnis einer großen prospektiven Studie. Eine Voraussetzung muss jedoch erfüllt sein.

Herzinsuffizienz: Erinnerungstool fördert MRA-Verschreibung

In der BETTER-CARE-HF-Studie wurden zwei Systeme getestet, die Ärzte und Ärztinnen darüber benachrichtigen, welche ihrer Herzinsuffizienzpatienten für eine MRA-Therapie geeignet sind. Eines davon war besonders erfolgreich beim Erhöhen der Verschreibungsrate.

Aus der Kardiothek

Hätten Sie es erkannt?

Linker Hauptstamm in der CT-Angiographie eines 80-jährigen Patienten vor TAVI. Was fällt auf?

Rhythmus-Battle: Vom EKG zur Therapie 2

Nicht immer sind EGK-Befunde eindeutig zu interpretieren, und nicht immer gibt es eine klare Therapieentscheidung. In diesem zweiten Rhythmus-Battle debattieren Prof. Lars Eckardt, Prof. Christian Meyer und PD Dr. Stefan Perings über ungewöhnliche EKG-Fälle aus der Praxis. Wie würden Sie entscheiden?

Kardiovaskuläre und ANS-Manifestationen von Covid-19 und Long-Covid

In der Akutphase und auch im weiteren Verlauf kann eine SARS-CoV-2-Infektion eine Herzbeteiligung verursachen. Prof. Thomas Klingenheben gibt einen Update über den aktuellen Wissenstand solcher Manifestationen, und erläutert, was hinter dem Syndrom „Long-COVID“ steckt.

Kardio-Quiz März 2023/© Stephan Achenbach, Medizinische Klinik 2, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
Podcast-Logo/© Springer Medizin Verlag GmbH (M)
Rhythmus-Battle 2023/© Portraits: privat
kardiologie @ home/© BNK | Kardiologie.org