Nachrichten 27.07.2020

Nach Schlaganfall: Ticagrelor/ASS-Kombi schützt besser als ASS allein

Nach Schlaganfall oder TIA sind frühe Rezidivereignisse keine Seltenheit. Dagegen schützt eine duale Thrombozytenhemmung mit Ticagrelor plus ASS besser als eine Standardtherapie mit ASS allein, belegt die THALES-Studie. Preis dafür ist aber ein höheres Blutungsrisiko.

Patienten mit ischämischem Schlaganfall oder transitorischer ischämischer Attacke (TIA) sind in den ersten Tagen und Wochen nach dem Akutereignis einem erhöhten Risiko für zerebrovaskuläre Rezidivereignisse ausgesetzt. In dieser frühen Phase bietet eine  Kurzprophylaxe mit einer Ticagrelor/ASS-Kombi offenbar einen besseren Schutz als die derzeit empfohlene Plättchenhemmung mit ASS allein.

In der jetzt im „New England Journal of Medicine“ publizierten THALES-Studie konnte mit dieser Kombitherapie das Risiko für die Ereignisse Schlaganfallrezidiv oder Tod (primärer kombinierter Endpunkt) in den ersten 30 Tagen nach dem Indexereignis signifikant um 17% im Vergleich zur ASS-Standardtherapie gesenkt werden. Die Inzidenzraten für den primären Studienendpunkt betrugen am Ende 5,5%  (303 betroffene Patienten) in der Ticagrelor/ASS-Gruppe und 6,6% (362 Patienten) in der ASS-Gruppe (Hazard Ratio [HR] 0,83, 95% Konfidenzintervall [KI] 0,71 – 0,96;  p = 0,02).

Inzidenz ischämischer Schlaganfälle um 21% reduziert

Ausschlaggebend für die Risikoreduktion war eine relative Abnahme der Gesamtrate für Schlaganfälle um 19% in der Ticagrelor/ASS-Gruppe  (5,1% vs. 6,3%, HR 0,81, 95% KI (0,69–0,95).  Wurden ausschließlich ischämische Schlaganfälle (sekundärer Endpunkt) als Rezidivereignisse gezählt, ergab sich eine signifikante relative Risikoreduktion um 21% (5,0% vs. 6,3%, HR 0,79, 95% KI 0,68 – 0,93; p = 0,004).

Bezüglich der Häufigkeit von Behinderungen (Score >1 auf der modifizierten Rankin-Skala) bestand kein signifikanter Unterschied zwischen Ticagrelor/ASS- und ASS-Gruppe (Inzidenz 23,8% vs. 24,1%, Odds Ratio 0,98, 95% KI 0,89 -1,07; p = 0,61).

Mehr schwere Blutungen unter der Kombi-Therapie

Auch in der THALES-Studie hatte die stärkere antiischämische Wirksamkeit der dualen Plättchenhemmung ihren Preis in Form eines erhöhten Blutungsrisikos: Schwere Blutungen (GUSTO-Kriterien), die den primären Sicherheitsendpunkt der Studie bildeten, traten bei 28 Patienten (0,5%) in der Ticagrelor/ASS-Gruppe  und bei sieben Patienten (0,1%) in der ASS-Gruppe auf  (HR 3,99, 95% KI 1,74 – 9,14; p=0,001).

Von intrakraniellen oder tödlichen Blutungen waren 22 Patienten  (0,4%) im Ticagrelor/ASS-Arm und sechs Patienten  (0,1%) im ASS-Arm der Studie betroffen.

Studienautoren ziehen positive Nutzen/Risiko-Bilanz

Nach Einschätzung der Studienautoren  überwiegt in der Nutzen/Risiko-Bilanz dennoch klar die positive Wirkung der dualen Plättenhemmung. Nach ihrer auf Basis der THALES-Studiendaten vorgenommenen Berechnung müssen  92 Schlaganfall- oder TIA-Patienten mit der Ticagrelor/ASS-Kombination behandelt werden, um ein primäres Endpunktereignis zu verhindern (Number Needed to Treat: 92), dagegen  263 Patienten, um eine schwere Blutung zu provozieren (Number Needed to Harm: 263).

An der randomisierten THALES-Studie waren insgesamt 11.016 Patienten  mit weniger schwerem ischämischem Schlaganfall (NIHSS-Score ≤ 5) oder mit nach klinischen bzw. angiografischen Kriterien bewerteter „Hochrisiko-TIA“ beteiligt, die innerhalb von 24 Stunden nach dem Akutereignis eine jeweils 30-tägige Behandlung mit Ticagrelor plus ASS (n=5523)  oder ASS plus Placebo (n= 5493) erhalten hatte. Bedingung war, dass bei ihnen keine Thrombolyse und katheterinterventionelle Thrombektomie vorgenommen worden war.

Auch Clopidogrel/ASS-Kombi hat Vorteile gezeigt

THALES ist nicht die erste Studie zum Nutzen einer dualen Plättchenhemmung (DAPT, dual antiplatelet therapy) in der Sekundärprävention nach Schlaganfall oder TIA. Mit der chinesischen CHANCE-Studie und der multinationalen POINT-Studie liegen bereits zwei Studien vor, deren Ergebnisse für eine stärkere rezidivprophylaktische Wirksamkeit einer kurzfristigen Clopidogrel/ASS-Therapie nach Schlaganfall oder TIA im Vergleich zur ASS-Standardtherapie sprechen.

Auf Basis dieser Studien hat eine internationale Expertengruppe Ende 2018 im „British Medical Journal“ (BMJ) eine Praxisempfehlung zur DAPT bei Patienten mit leichten Schlaganfällen  (minor ischemic stroke) oder TIA publiziert. Danach sollte bei diesen Patienten rasch innerhalb von 24 Stunden eine Clopidogrel/ASS-Behandlung eingeleitet werden, die dann für die Dauer von zehn bis 21 Tagen fortzusetzen sei.

Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) und die Deutsche Schlaganfall-Gesellschaft (DSG) haben Anfang 2019 in einer Pressemitteilung bekundet, dass sie diese Praxisempfehlung stützen. Die Empfehlung werde auch in Kürze Eingang in der Leitlinie Sekundärprävention des Schlaganfalls der DGN finden. Zwischenzeitlich schließe man sich  der BMJ-Praxisempfehlung an.

Durch die THALES-Studie ist nun einer zweiten Option für die duale Plättchenhemmung  nach Schlaganfall oder TIA ein positives Nutzen/Risiko-Profil bescheinigt worden. Auch ihre Ergebnisse werden bei der Leitlinien-Aktualisierung zu berücksichtigen sein.

Warten auf die CHANCE-2-Studie

Ob Ticagrelor oder Clopidogrel die bessere Wahl als zweiter Thrombozytenhemmer neben ASS in der Rezidivprophylaxe nach Schlaganfall ist, lässt sich mangels randomisierter Studien zum Vergleich beider Regime schwer beurteilen. Derzeit läuft in China die CHANCE-2-Studie, in der eine Ticagrelor/ASS-Kombi und ein Clopidogrel/ASS-Regime bei knapp 6.400 Hochrisiko-Patienten mit weniger schweren zerebrovaskulären Ereignissen direkt miteinander verglichen werden sollen. Mit Ergebnissen wird für 2022 gerechnet.

Literatur

Johnston S.C. et al.: Ticagrelor and Aspirin or Aspirin Alone in Acute Ischemic Stroke or TIA. N Engl J Med 2020; 383:207-217.  DOI: 10.1056/NEJMoa1916870

Prasad K, Siemieniuk R, Hao Q et al. Dual antiplatelet therapy with aspirin and clopidogrel for acute high risk transient ischaemic attack and minor ischaemic stroke: a clinical practice guideline. BMJ. 2018; 363: k5130.

Pressemitteilung der DGN vom 16. Januar 2019: Nach „Mini-Schlaganfall“: Experten empfehlen duale Plättchenhemmung.

Highlights

Hätten Sie es erkannt?

Linker Hauptstamm in der CT-Angiographie eines 80-jährigen Patienten vor TAVI. Was fällt auf?

Myokarditis – eine tödliche Gefahr

In der vierten Ausgabe mit Prof. Andreas Zeiher geht es um die Myokarditis. Der Kardiologe spricht über Zusammenhänge mit SARS-CoV-2-Infektionen und COVID-19-Impfungen und darüber, welche Faktoren über die Prognose entscheiden.

Aktuelles und Neues aus der Kardiologie

Studie spricht gegen Adipositas-Paradoxon bei Herzinsuffizienz

Überschüssige Pfunde könnten bei Herzinsuffizienz vor einem schweren Krankheitsverlauf schützen, lautet eine verbreitete These. Offenbar ist es genau umgekehrt, fand ein internationales Forscherteam jetzt heraus.

Welcher Faktor determiniert das Herzrisiko unter einer Statintherapie?

Bei Patienten, die bereits Statine zur Lipidsenkung erhalten, sind im CRP-Wert sich widerspiegelnde Entzündungsprozesse ein stärkerer Prädiktor für künftige kardiovaskuläre Ereignisse als das LDL-Cholesterin, zeigt eine umfangreiche Metaanalyse.

Süßstoff Erythrit könnte Herzinfarkt- und Schlaganfall-Risiko erhöhen

Mit Süßstoff gesüßte Lebensmittel, sog. Light-Produkte, werden oftmals als gesundheitsfördernd propagiert. Doch offenbar scheinen sie genau das Gegenteil zu bewirken, wie aktuelle Untersuchungen nahelegen.

Aus der Kardiothek

Hätten Sie es erkannt?

Linker Hauptstamm in der CT-Angiographie eines 80-jährigen Patienten vor TAVI. Was fällt auf?

Rhythmus-Battle: Vom EKG zur Therapie 2

Nicht immer sind EGK-Befunde eindeutig zu interpretieren, und nicht immer gibt es eine klare Therapieentscheidung. In diesem zweiten Rhythmus-Battle debattieren Prof. Lars Eckardt, Prof. Christian Meyer und PD Dr. Stefan Perings über ungewöhnliche EKG-Fälle aus der Praxis. Wie würden Sie entscheiden?

Kardiovaskuläre und ANS-Manifestationen von Covid-19 und Long-Covid

In der Akutphase und auch im weiteren Verlauf kann eine SARS-CoV-2-Infektion eine Herzbeteiligung verursachen. Prof. Thomas Klingenheben gibt einen Update über den aktuellen Wissenstand solcher Manifestationen, und erläutert, was hinter dem Syndrom „Long-COVID“ steckt.

Kardio-Quiz März 2023/© Stephan Achenbach, Medizinische Klinik 2, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
Podcast-Logo/© Springer Medizin Verlag GmbH (M)
Rhythmus-Battle 2023/© Portraits: privat
kardiologie @ home/© BNK | Kardiologie.org