Reserve-Gichtmittel scheint Herz besser zu schützen als Standardtherapie
Die kardiovaskuläre Sicherheit von Gichtmedikamenten steht schon länger im Fokus der Wissenschaft. Nun deutet eine große Kohortenstudie an, dass ein Gichtmedikament der zweiten Wahl das kardiovaskuläre Risiko nicht erhöht, sondern verringern könnte im Vergleich zur aktuellen Standardtherapie.
Das Gichtmittel Benzbromaron ging in einer großen südkoreanischen Kohortenstudie mit einem deutlich geringeren kardiovaskulären Risiko einher als Allopurinol, die aktuelle Standardtherapie zur Senkung erhöhter Harnsäurespiegel. Konkret war das Risiko für Herzinfarkte, Schlaganfälle/TIA oder koronare Revaskularisationen während des gut einjährigen Beobachtungszeitraumes unter Allopurinol um 22% höher als unter Benzbromaron (1,81 vs. 1,61 Ereignisse pro 100 Personenjahre, Hazard Ratio, HR: 1,22). Das Sterberisiko war bei den mit Allopurinol behandelten Patienten im Vergleich um 66% erhöht (HR: 1,66).
„Benzbromaron könnte das kardiovaskuläre Risiko und die Mortalität bei Patienten mit Gicht verringern“, schließen die südkoreanischen Studienautoren um Dr. Eun Ha Kang aus ihren Daten, „obwohl mehr Studien notwendig sind, um diese Ergebnisse zu bestätigen und um das Verständnis des zugrunde liegenden Mechanismus zu stärken“, fügen die Rheumatologen einschränkend hinzu.
Kardiovaskuläre Sicherheit von Gichtmedikamenten
Bisher stand unter den Gichtmitteln vor allem Febuxostat aus kardiovaskulären Gesichtspunkten im Fokus – allerdings mit „negativen Schlagzeilen“: So kam es in den Zulassungsstudien unter einer Behandlung mit dem Xanthinoxidase-Hemmer zu einer moderat erhöhten Rate kardiovaskulärer Ereignisse im Vergleich zu Placebo. Die von der FDA geforderte Sicherheitsstudie CARES konnte die Bedenken nicht gänzlich ausräumen: Zwar kamen kardiovaskuläre Ereignisse unter einer Behandlung mit Febuxostat nicht häufiger vor als unter Allopurinol, die Gesamtsterblichkeit und kardiovaskuläre Mortalität waren im Vergleich allerdings erhöht.
Urikosurika könnten kardioprotekiv wirken
Benzbromaron scheint nun für die Herzgesundheit nicht schädlicher als Allopurinol zu sein, sondern im Gegenteil vergleichsweise kardioprotektiv zu wirken. Jedenfalls deutet das die aktuelle Analyse an, im Rahmen derer über 100.000 koreanische Versichertendaten gesammelt und ausgewertet worden sind.
Bei Benzbromaron handelt es sich um ein sog. Urikosurika, das sind Medikamente, welche die Harnsäure-Rückresorption in der Niere hemmen und dadurch die Harnsäureausscheidung fördern. Zur selben Medikamentenklasse gehört auch Probenecid. Und auch Probenecid scheint laut einer retrospektiven Studie von 2018 einen im Vergleich zu Allopurinol besseren Herzschutz zu bieten.
Sowohl Benzbromaron als auch Probenecid werden zur Behandlung erhöhter Harnsäurespiegel derzeit aber nur als zweite Wahl empfohlen, sie werden also in der Regel erst dann eingesetzt, wenn das von den Leitlinien als Erstlinientherapie empfohlene Allopurinol nicht verwendet werden kann oder nicht ausreichend wirksam ist.
Diese Gewichtung in den Leitlinien spiegelt sich auch in der koreanischen Kohortenstudie wider. Bei 103.695 von insgesamt 124.434 Gichtpatienten aus der nationalen Versichertendatenbank wurde eine Behandlung mit Allopurinol begonnen, gerade mal 20.739 erhielten Benzbromaron. Beide Patientengruppen wurde mittels Propensity-Score-Matching miteinander verglichen, um eine Vergleichbarkeit zu gewährleisten. In den kommenden 1,16 Jahren kam es zu insgesamt 2.258 Ereignissen des primären Endpunktes.
Möglicher Mechanismus
Für das geringere kardiovaskuläre Risiko bei den mit Benzbromaron behandelten Gichtpatienten machen die Studienautoren zum einen dessen womöglich potentere Wirkung auf die Harnsäurespiegel verantwortlich. „Die Harnsäure-senkende Effektivität von Benzbromaron 100 mg/Tag ist bekanntermaßen der von Allopurinol 300 mg/Tag überlegen, und Allopurinol 300 bis 380 mg/Tag hat dieselbe Effektivität wie Benzbromaron 75–80 mg/Tag“, erläutern die Rheumatologen die Zusammenhänge. Kang und Kollegen gehen deshalb davon aus, dass in der Gruppe mit Benzbromaron-Therapie der Harnsäurezielwert von <6,0 mg/dL eher erreicht worden ist als bei den Patienten, die mit Allopurinol behandelt worden sind. Geringere Harnsäurespiegel werden wiederum mit einer besseren kardiovaskulären Prognose in Verbindung gebracht, wobei dieser Zusammenhang nicht gänzlich bewiesen ist. Genauso wenig können die südkoreanischen Autoren dies belegen, weil die Harnsäurespiegel in der aktuellen Studie nicht erfasst worden sind.
Als weitere Erklärung für ihre Ergebnisse führen Kang und sein Team Hinweise für pleitrotrope Effekte des Urikosurikums an. So deuten tierexperimentelle Studien darauf hin, dass Benzbromaron positive vaskuläre Eigenschaften ausübt und antiinflammatorisch wirkt.
Aber: Kontraindikationen erschweren Einsatz
Die aktuellen Ergebnisse geben nach Ansicht der koreanischen Rheumatologen Anlass, dem vermeintlich günstigeren kardiovaskulären Profil der Urikosurika im Vergleich zu Xanthinoxidase-Hemmern näher nachzugehen. Das sei es wert, in künftigen Studien zu untersuchen, resümieren sie.
Weniger in ihre Vorstellung passt allerdings ein weiterer Befund der aktuellen Studie: In der Subgruppe von Patienten mit hohem kardiovaskulären Risiko gab es nämlich keinen Unterschied im primären Endpunkt zwischen beiden Behandlungsgruppen. Ein Blick auf die „Number Needed to Treat“ der Gesamtkohorte relativiert darüber hinaus den potenziell zu erreichenden Nutzen für die kardiovaskuläre Prognose, wenn man Allopurinol durch Benzbromaron ersetzen würde: Demzufolge müssten 277 Patienten mit Benzbromaron statt mit Allopurinol behandelt werden, um innerhalb eines Jahres ein kardiovaskuläres Ereignis des primären Endpunktes zu verhindern. Für die Gesamtmortalität liegt die 1-Jahres-NNT bei 115. Erschwerend in der Anwendung von Benzbromaron kommt hinzu, dass das Medikament bei eingeschränkter Nierenfunktion und Lebererkrankungen kontraindiziert ist.
Literatur
Kang EH et al. Cardiovascular risk associated with allopurinol vs. benzbromarone in patients with gout, Eur Heart J 2021; ehab619, https://doi.org/10.1093/eurheartj/ehab619