Akuter Herzinfarkt: Komplette Revaskularisation sammelt weiter Punkte
Patienten mit akutem Myokardinfarkt profitieren klinisch davon, wenn bei einer perkutanen Koronarintervention (PCI) nicht nur die betroffene Infarktarterie revaskularisiert wird, sondern auch andere hämodynamisch relevante Koronarstenosen gleich mitbehandelt werden. Dafür sprechen bei der DGK-Jahrestagung vorgestellte Ergebnisse der COMPARE-ACUTE-Studie.
In den Leitlinien war die Vorgehensweise für interventionelle Kardiologen bei Herzinfarkt-Patienten mit koronarer Mehrgefäßerkrankung bis vor kurzem klar definiert: Die Revaskularisation sollte primär auf die „schuldige“ Infarktarterie (culprit lesion) beschränkt bleiben. Von einer Strategie, aus präventiven Erwägungen bestehende Stenosen in anderen Koronargefäßen als der Infarktarterie gleich mit zu behandeln, wurde wegen vermeintlicher Risiken dringend abgeraten.
Davon ist man inzwischen abgerückt. Der Grund sind neue Studien wie PRAMI, CVLPRIT und DANAMI-3-PRIMULTI, deren Ergebnisse die rasche komplette Revaskularisation unter Einbeziehung von Stenosen in nicht infarktassoziierten Koronargefäßen bei Patienten mit ST-Hebungs-Myokardinfarkt (STEMI) als vorteilhaft erscheinen lassen.
FFR-Messung zur Stenosebeurteilung genutzt
Bei der Einschätzung der Relevanz dieser Stenosen hat man sich in diesen Studien auf die visuelle Beurteilung der Koronarangiografie verlassen. In der COMPARE-ACUTE-Studie, deren Ergebnisse Dr. Mohamed Abdel-Wahab aus Bad Segeberg bei der DGK-Jahrestagung in Mannheim vorgestellt hat, erfolgte die Stenosebewertung dagegen nach anderen Kriterien.
Auch in COMPARE-ACUTE ging es um den Vergleich einer sofortigen kompletten Revaskularisation mit einer zunächst auf die Infarktarterie beschränkten Koronarintervention. In der Gruppe mit kompletter Revaskularisation wurde allerdings nur bei Koronarstenosen interveniert, die sich nach Messungen der fraktionellen Flussreserve (FFR) mit einem speziellen Druckdraht als hämodynamisch relevant erwiesen hatten. Kriterium dafür war ein FFR-Wert ≤ 0,8.
An der Studie nahmen 885 Patienten mit akutem STEMI und koronarer Mehrgefäßerkrankung teil. Alle wurden einer primären PCI mit Revaskularisation des für den Infarkt ursächlichen Koronargefäßes unterzogen. In der Gruppe mit geplanter kompletter Revaskularisation wurden bei 295 Patienten zusätzlich alle nicht infarktassoziierten Koronarstenosen mit einem FFR-Wert ≤ 0,8 revaskularisiert. In 83,4% aller Fälle erfolgten diese Revaskularisationen bereits während der initialen PCI, bei einigen Patienten auch verzögert innerhalb von drei Tagen. Bei 590 Patienten der Vergleichsgruppe wurde der FFR-Wert zwar verblindet gemessen, ohne dass dies jedoch Konsequenzen für die Revaskularisation hatte.
In der Gruppe mit kompletter Revaskularisierung wurde bei insgesamt 292 FFR-Messungen in 158 Fällen (54,1% ) die hämodynamische Relevanz der Stenose anhand eines FFR-Werts ≤ 0,8 bestätigt. In der Gruppe mit Infarktgefäß-Revaskularisierung betrug dieser Anteil 47,9%. Etwa die Hälfte aller bei der angiografischen Beurteilung als bedeutsam eingestuften Koronarverengungen in Nicht-Infarktgefäßen stellte sich bei FFR-Messung als funktionell unbedeutend heraus.
Risikoreduktion durch aggressivere Strategie
Nach einem Jahr lag die Rate für den primären kombinierten Endpunkt bei 7,8% in der Gruppe mit FFR-gesteuerter Komplett-Revaskularisierung und bei 20,5% in der Gruppe mit alleiniger primärer Infarktgefäß-Revaskularisation, berichtete Abdel-Wahab. Das relative Risiko war damit nach aggressiverer Revaskularisation signifikant um 65% niedriger (p < 0,001).
Ausschlaggebend für diesen Vorteil war allein die Reduktion von erneuten Revaskularisationen (6,1% vs. 17,5%). Die Raten für die Gesamtsterblichkeit (1,3% vs. 1,7%) und die kardiovaskuläre Sterblichkeit (1,0% vs. 1,0%) unterschieden sich nicht signifikant. Bei den Herzinfarkten zeichnete sich ein nicht signifikanter Trend zugunsten der umfassenderen Revaskularisation ab (2,4% vs. 4,7%).
Ist FFR-basierte Strategie auch kostengünstiger?
Das Fazit Abdel-Wahabs: Rund die Hälfte aller Koronarläsionen, die nach angiografischen Maßstäben signifikant erscheinen, erweisen sich bei der FFR-basierten Beurteilung als nicht hämodynamisch relevant. Die Strategie, im Falle solcher Stenosen zunächst auf eine interventionelle Behandlung zu verzichten, ist sicher und ohne Risiko für die Patienten. Sie könnte somit zudem kostengünstiger sein. Ob sie es tatsächlich ist, wird eine Kosteneffektivität-Analyse auf Basis der COMPARE-ACUTE-Daten zeigen, die Mitte Mai bei Kongress EuroPCR in Paris vorgestellt werden soll. Dazu Abdel-Wahab: „So viel darf ich schon verraten: Es geht in die richtige Richtung“.
Der Beweis, dass sich durch eine komplette Revaskularisation bei STEMI-Patienten „harte“ Ereignisse wie Myokardinfarkt und Tod verhindern lassen, muss allerdings erst noch erbracht werden. Liefern könnte ihn etwa die laufende COMPLETE-Studie. Das für die Rekrutierung gesteckte Ziel einer Aufnahme von rund 4.400 STEMI-Patienten ist jüngst erreicht worden. Damit ist die Studie statistisch auch für harte klinische Endpunkte „gepowert“.
Literatur
Abdel-Wahab M.: The COMPARE-ACUTE Trial, Sitzung: Late Breaking Clinical Trials, 83. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (DGK), 19. bis 22. April 2017, Mannheim