Nachrichten 09.07.2020

Klassifizierung von Vorhofflimmern: Besteht Korrekturbedarf?

Steht die derzeitige Definition von paroxysmalem Vorhofflimmern noch im Einklang mit der Pathophysiologie und den klinischen Auswirkung dieser häufigen Arrhythmie. Die Autoren einer neuen Studie melden diesbezüglich Zweifel an.

Gemäß der Klassifizierung von Vorhofflimmern nach seiner Dauer liegt ein paroxymales Vorhofflimmern dann vor, wenn die Arrhythmie maximal sieben Tage anhält oder innerhalb dieser Zeit in Sinusrhythmus konvertiert wird. Länger als sieben Tage anhaltendes Vorhofflimmern wird als „persistierend“ eingestuft.

Kanadische Forscher zweifeln allerdings, ob dieser zeitliche „cutoff“ für die Definition von Persistenz des Vorhofflimmerns gerechtfertigt ist. Ihre Studienergebnisse legen nämlich nahe, dass die Unterscheidung zwischen paroxysmalem und persistierendem Vorhofflimmern besser auf Basis einer deutlich kürzeren, nämlich nur 24-stündigen Arrhythmiedauer vorgenommen werden sollte.

Grund ist die Beobachtung, dass Patienten, deren Vorhofflimmern weniger als 24 Stunden anhielt, nach einer Ablationsbehandlung ein deutlich niedrigeres Risiko für atriale Arrhythmierezidive hatten als Patienten mit länger bestehendem Vorhofflimmern. Bei Patienten mit paroxysmalem Vorhofflimmern, das 24 bis 48 Stunden bzw. zwei bis sieben Tage anhielt, unterschied sich das Rezidivrisiko dagegen nicht vom Risiko in der Subgruppe mit persistierendem, d.h. länger als sieben Tage anhaltendem Vorhofflimmern.

Willkürlicher „cutoff“ nach sieben Tagen

„In der Vergangenheit ist paroxysmales Vorhofflimmern pragmatisch, aber willkürlich, als 'Arrhythmieattacken mit einer Dauer von 2 Minuten bis 7 Tagen' definiert worden. Inzwischen mehren sich die Anzeichen dafür, dass diese Klassifikation die dem Vorhofflimmern zugrundeliegende Pathophysiologie und die damit assoziierten Komplikationen nicht widerspiegelt“, schreiben die Autoren  um Studienleiter Dr. Jason Andrade von der University of British Columbia in Vancouver. Nach ihrer Ansicht manifestieren sich wichtige, mit Vorhofflimmern einhergehende elektrische und strukturelle atriale Veränderungen (remodeling) schon in den ersten 24 Stunden und erreichen bereits innerhalb von 48 Stunden ein „steady state“.

Die von der Gruppe um Andrade aktuell vorgelegte Studie ist eine Subanalyse der randomisierten multizentrischen CIRCA-DOSE (Cryoballoon vs Irrigated Radiofrequency Catheter Ablation: Double Short vs Standard Exposure Duration)-Studie, an der 346 Patienten mit symptomatischem Vorhofflimmern beteiligt waren. Alle Studienteilnehmer waren zwischen 2014 und 2017 an acht kanadischen Herzzentren einer Katheterablation (Pulmonalvenenisolation) unterzogen worden.

Kontinuierliches Rhythmusmonitoring als Basis

Spätestens 30 Tage (im Median 73,5 Tage) vor der Ablation war bei allen Patienten ein Herzmonitor zur kontinuierlichen Rhythmusüberwachung implantiert worden. Auf Basis  der Herzmonitor-Daten haben Andrade und seine Kollegen analysiert, wie hoch im ersten Jahr nach der Ablation die Rate an symptomatischen und asymptomatischen atrialen Tachyarrhythmien (Vorhofflimmern/-flattern, atriale Tachykardien) in Abhängigkeit von der Dauer der längsten, vor der Ablation detektierten Vorhofflimmern-Episode war. Vier Gruppen wurden dabei unterschieden: Bei 263 Patienten (76,0%) betrug die Arrhythmiedauer weniger als 24 Stunden, bei  25 (7,2%)  24 bis 48 Stunden, bei 40 (11,7%) zwei bis sieben Tage und bei 18 (5,2%) mehr als sieben Tage.

Vorteile bei kürzerer Arrhythmiedauer unter 24 Stunden

Ergebnis: In der Subgruppe der Patienten, deren vor der Ablation detektierte Vorhofflimmern-Episoden kürzer als 24 Stunden waren,  war die Rate für rezidivierende atriale Tachyarrhythmien nach der Ablation jeweils signifikant niedriger als in den drei übrigen Gruppen. Im Vergleich zu Patienten mit einer Arrhythmiedauer von 24 bis 48 Stunden war die Rate relativ um 59% (Hazard Ratio [HR] 0,41; 95% Konfidenzintervall [KI]  0,21-0,80, p=0,009), im Vergleich zu Patienten mit einer Arrhythmiedauer von zwei bis sieben Tagen relativ um 75%  (HR 0,25; 95% KI 0,14-0,45, p<0,010) und im Vergleich zu Patienten mit einer Arrhythmiedauer von mehr als sieben Tagen relativ um 77% niedriger (HR 0,23; 95% KI, 0,09-0,55, p<0,010).

Neue Definition der Schwelle zur Persistenz?

Auch in Bezug auf die nach Ablation dokumentierte „Vorhofflimmern-Last“ (Afib burden = prozentualer Anteil der Zeit im Vorhofflimmern) ergab sich ein signifikanter Vorteil zugunsten der Patienten mit weniger als 24 Stunden anhaltenden Arrhythmie-Episoden. Allerdings waren die absoluten Unterschiede hier eher gering. Zwischen den drei Gruppen mit länger als 24 Stunden dauerndem Vorhofflimmern bestanden dagegen bezüglich Rezidivrate und „Arrhythmielast“ keine signifikanten Unterschiede.

Angesichts dieser Ergebnisse sollten nach Ansicht der Studienautoren um Andrade im Fall von anhaltendem Vorhofflimmern wohl besser 24 Stunden als Schwelle für die Definition von Persistenz der Arrhythmie in Betracht gezogen werden.

Literatur

Andrade J.G. et al.: Association of Atrial Fibrillation Episode Duration With Arrhythmia Recurrence Following Ablation: A Secondary Analysis of a Randomized Clinical Trial. JAMA Netw Open2020;3(7) :e208748. doi:10.1001/jamanetworkopen.2020.8748  

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